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Von Lena Schneider: Die Rosen sind geköpft

Die Premiere von Arthur Schnitzlers „Das weite Land“ am Hans Otto Theater ist ein Schritt in die richtige Richtung

Die Rosen duften nicht mehr. Jedes Jahr werden sie üppiger, „aber das Duften haben sie sich ganz abgewöhnt“, sagt Fabrikant Friedrich Hofreiter einmal zu seiner Frau Genia, gleich im ersten Akt. Die Tatsache, dass diese Blumen keine wuchernden Sträucher sind, sondern vom Strauch abgetrennte Rosenköpfe, deutet an, was dieser dahingesagte Satz außer einem Konversationshappen noch sein kann: eine nüchterne Bestandsaufnahme der Ehe der Hofreiters. Sie sitzen in einem Garten im großbürgerlichen Baden bei Wien vor der Villa (die Bühne, elegant und bedeutungsschwanger vor drohendem Schwarz: Iris Kraft), das Dienstmädchen serviert Tee und legt der Dame eine warme Jacke um. Aber das hilft alles nichts. Die Rosen sind geköpft und haben sich das Duften abgewöhnt.

Die Ehe der Hofreiters ist schon am Anfang von Schnitzlers „Das weite Land“ am Ende. Aber in dem 1911 uraufgeführtem Stück geht es nicht um die Erkenntnis, dass hier eine Ehe auseinanderbricht, sondern wie. Friedrich Hofreiter, gespielt von Wolfgang Vogler, ist ein notorischer Fremdgänger, seine Frau Genia weiß es und hat sich damit arrangiert – wie, das behält sie für sich. „Er bezahlt schon, auf seine Weise“, sagt sie, und bei Franziska Melzer klingt das weder bitter noch schadenfroh. Welche Art der Verbundenheit Genia bei ihrem Schürzenjäger-Gatten hält, obwohl er sie (auf der Bühne auch körperlich) nie in seine Nähe lässt, bleibt die große Frage in Schnitzlers Stück, und Regisseur Tobias Wellemeyer versucht nicht, sie vollkommen zu beantworten. Seine These freilich, wie auch die Schnitzlers: aus Liebe bleibt sie, gewissermaßen wider Willen.

Eine Schwierigkeit Wellemeyers: Er zeigt das – die Zuneigung und auch den Widerwillen – indem er Genia in einem ständigen Hin- und Her um den kühl distanzierten Friedrich pendeln lässt. Als hätte die Regie das Vordergründige daran erkannt, betont sie in anderen Momenten das Geheimnisvolle, Hintergründige der Genia, stellt Franziska Melzer vorn an die Rampe, von wo sie auf Friedrichs halb vorwurfsvolle Frage, warum sie sich denn nicht selbst einen Liebhaber genommen habe, zu uns, über uns schaut, und sagt was einem nicht aus dem Kopf gehen wird: „Um meinetwillen.“ Das versteht man nicht; aber vielleicht gerade darum glaubt man es.

„Das weite Land“ zeichnet das Seelenbild nicht nur eines Paares sondern einer Gesellschaft. Es wird beobachtet und getratscht, gelästert, gespielt (vor allem Tennis), geflirtet. Alle, und das ist Schnitzlers Kunst und ein Glück für das Ensemble, haben eine Geschichte zu erzählen (meist eine des Scheiterns); keiner ist nur böswillig oder nur gut und jeder hat punktgenaue Aphorismen anzubringen. Da wäre etwa Dr. Mauer, ein befreundeter Arzt (mit Lust am ironischen Unterton: Jon-Kaare Koppe), der die fiesesten Dinge über das Menschsein sagen darf („Ich wundere mich nie, wenn sich jemand umbringt“), weil er in großer unglücklicher Liebe zu Erna entbrannt ist – als kraftstrotzender, teilweise arg jugendlich-nöliger Naseweis gespielt von Nele Jung. Adele Natter (Meike Finck) ist die ehemalige Geliebte des Herrn Hofreiter, kokett und schnippisch, abgöttisch geliebt von ihrem betagten Bankiersgatten (Peter Pagel), der trocken ausspricht, was alle von sich behaupten: „Ich unterhalte mich königlich. Immer.“

Unterhalten wollen sich in der Tat alle, ihre eigentlichen Sehnsüchte schleppen sie verborgen mit sich mit. Ein Motiv dafür ist das immer wiederkehrende Tennisspiel: von Friedrich meisterlich beherrscht, von Genia mit Desinteresse bedacht. Schließlich versucht Genia es auch, das Alles-egal-Spiel, und geht eine Liaison mit dem jungen Marine-Fähnrich Otto (Eddie Irle) ein. Aber Friedrich war nicht nur im Tennis stets der bessere Spieler; er lässt sich den Platz an Genias Seite nicht streitig machen. Mit Liebe, diesem sperrigen Ding, nachdem Genia eigentlich sucht, hat das bei Friedrich nichts zu tun. „Man will ja nicht der Hopf sein.“

Tobias Wellemeyer nimmt die Sucht nach Amüsement als das auf, was es ist: ein melancholisches Sich-vor-dem- Nichts-Retten. Seine Inszenierung fließt ruhig dahin, in guten Momenten konzentriert, manchmal eher unbestimmt, ein leises Raunen aus dem Off kündet etwas besserwisserisch von Gefahr, ein Klavier von Emotion. Sonst aber ist die Regie zurückgenommen, geradezu behutsam vor dieser sinnleeren, in geistreichen Schlagaustauschen haltsuchenden Gesellschaft von Einsamen.

Mit Ausnahmen – wunderbar komödiantisch: Rita Feldmeier als Mutter Wahl und Simon Brusis als Paul Kreindl – sind seine Charaktere Melancholiker, einzelgängerisch Suchende. Vielleicht noch nicht der große Wurf, um das neue Potsdamer Ensemble endlich zusammenzuführen; ein tastender, erfreulich unprätentiöser Schritt in diese Richtung ist „Das weite Land“ dennoch.

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