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Von Klaus Büstrin: Tod durch Parsifal-Musik

Siegfried Matthus‘ Operncollage „Cosima“ aus Cottbus nach Potsdam ans Hans Otto Theater gebracht

Aus dem Off erklingt die Stimme Cosima Wagners, erste Herrin des Festspielhügels von Bayreuth. An Herrn Friedrich Nietzsche ist ihr Wort gerichtet: Seine Oper könne nicht im Festspielhaus aufgeführt werden. Nur die Werke des Meisters, Richard Wagner, hätten dazu ein Recht.

Auch wenn es nur Opernfragmente von Nietzsche sind, die Siegfried Matthus rekonstruierte und mit einer Rahmenhandlung versah, sie dürften auch heute nicht den Wagner-Tempel erreichen. Die gegenwärtigen Herrinnen werden jedoch amüsiert und interessiert Siegfried Matthus‘ Oper „Cosima“ zur Kenntnis nehmen, taucht es schließlich in ein Stück Familiengeschichte ein. Doch in der Stadt Bayreuth war das Werk dennoch zu sehen, 2008 als Gastspiel des Uraufführungs-Theaters Gera-Altenburg in der Stadthalle. Der Cottbuser Intendant und Regisseur Martin Schüler inszenierte „Cosima“ 2007 im Thüringischen. Vor einem Jahr hat er das Werk fast 1:1 im Staatstheater Brandenburgs umgesetzt. Am Wochenende stellte das Musiktheaterensemble aus Cottbus die Oper mit zwei Aufführungen am Hans Otto Theater vor.

Vom spannungsvoll-tragischen Verhältnis des Philosophen Friedrich Nietzsche zu Richard Wagner und Nietzsches geheimnisvoller Zuneigung zu dessen Frau Cosima handelt die Geschichte. Nietzsche schrieb in „Ecce Homo“: „Ich weiß nicht, was andere mit Wagner erlebt haben: über unseren Himmel ist nie eine Wolke hinweggegangen“. Später soll er aber, wie Cosima in ihrem Tagebuch vermerkte, sich „gegen den überwältigenden Eindruck“ der Persönlichkeit des Meisters gewehrt haben. Und dies war in ihren Augen ein Frevel Die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Wagners und Nietzsche nahmen an Schärfe und schließlich an Boshaftigkeit zu.

In Siegfried Matthus’ „Cosima“ erfährt die Titelheldin in einer fiktiven Geschichte, dass Nietzsche im Irrenhaus (dieser Aufenthalt ist Fakt) eine Oper über sie und ihren Mann komponiert. Kompromittierend soll der Inhalt sein. Sie setzt alles daran, um an die Partitur zu kommen und eine Aufführung zu verhindern. Schließlich greift sie zum Äußersten: Sie tötet den Philosophen mit der Musik des „Parsifal“. Matthus erzählt diese Geschichte in dreizehn schlaglichtartigen Episoden, im Krankenhaus in Jena, auf Tribschen am Vierwaldstätter See, in München, vor dem Schlafzimmer Wagners, im Sterbezimmer des Meisters in Venedig, schließlich im Bayreuther Festspielhaus.

Matthus kennt sich in der Wagnerphilologie hörbar gut aus. Die Text- und Musikauswahl beweist es. Das Libretto ist weitgehend aus Zitaten Nietzsches und des Ehepaares Wagner zusammengestellt. Wirkt dies bereits wie eine Collage, so nimmt man die Musik als Sammelsurium wahr. Da werden Passagen aus „Tristan und Isolde“, „Die Meistersinger von Nürnberg“, „Tannhäuser“, „Götterdämmerung“ oder „Parsifal“ mehr oder weniger verfremdet zitiert, aber auch Bizets „Carmen“ muss dran glauben. Der Franzose wurde nach Wagner zum bevorzugten Komponisten des Philosophen. Und dann ist natürlich auch Matthus‘ eigene selten sperrige Musik mit den flirrenden Streichern und den heftigen Klangballungen bei den Blechbläsern zu hören. Das ist alles geschickt verbandelt und verrät den versierten Opernkomponisten und Theatermann.

Und die Musik von Friedrich Nietzsche? Es seien nur Kompositionsskizzen des Philosophen gefunden worden, so Siegfried Matthus. Darin höre man aber deutliche Einflüsse Wagners und Bizets. Doch gern hätte man in „Cosima“ deutlicher eigene Kompositionsabsichten Nietzsches vernommen.

Der Fund dieser Opernfragmente, die der Philosoph hinterließ und die Matthus bei Restaurierungsarbeiten im Rheinsberger Schloss entdeckt haben soll, gibt Rätsel auf, zumal die Partiturseiten wohl kaum jemand gesehen haben soll. Sie befinden sich im Besitz von Matthus. Das Öffentlichmachen wäre für die Nietzsche-Forschung sinnvoll. Wenn es sie denn gibt und es sich hier nicht um einen dramaturgisch geschickten Trick von Matthus handelt.

Martin Schülers Inszenierung von „Cosima“ ist stimmungsvoll und historisierend. Klar sind die beiden Ebenen der Rahmenhandlung und der Geschichte voneinander getrennt, werden anschaulich und auch spannend erzählt. Aber ein paar Doppeldeutigkeiten zu den zwiespältigen Persönlichkeiten Cosima und Nietzsche wären sicherlich angebracht gewesen. Und somit lief eigentlich alles ganz brav über die Bühne. Dieter Richter zauberte einen vornehmen Sanatoriums-Saal auf die Bühne, der in seiner Opulenz an das Fin de Siècle erinnert, an die Atmosphäre von Thomas Manns „Der Zauberberg“. Die geschmackvollen Kostüme von Henrike Bomber verdeutlichen ebenfalls jene Zeit, in der die Oper angesiedelt ist.

Die Nähe zur Wagner-Musik verlangt von den Sängerinnen und Sängern einiges an Stimmkraft. Sie konnten damit bestens aufwarten. Gesine Forberger als junge Cosima und Elvira Dreßen als die „Dame mit Schleier“, die alte Cosima in der Rahmenhandlung, spielten mit großer Intensität, mit energischer Geste und sangen mit warm leuchtenden Tönen. Volker Maria Rabe war der nach innen gekehrte, doch auch immer wieder aufbrausende Nietzsche. Für ihn war es manchmal schwierig über die Orchesterwogen zu kommen, doch hat er in keinem Moment forciert, um sich zu behaupten. Auch die anderen Solisten sowie der Staatstheaterchor wussten darstellerisch und musikalisch ihren Partien bestens Profil zu geben. Am Dirigentenpult stand Marc Niemann. Unter seiner Leitung konnten das Sängerensemble sowie das Philharmonische Orchester Cottbus sich sehr sicher fühlen und bei der hin und wieder mit Aplomb auffahrenden Musik wurde immer durchsichtig gespielt. Es gab viel Beifall.

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