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Kunst vor 89: Frank Gottsmanns Über der Stadt, oben, und Ulla Walters Schwarze Katze, r., zu sehen in der Galerie Ruhnke. Die Künstler besichtigten auch das Potsdam-Museum mit der Malerei Stephan Veltens und Skulpturen Stephan J. Möllers.

© Museum/Thomas

Von Heidi Jäger: Lustvoller Tanz auf dem Pulverfass

„Freiheit der Idee. 7 mal Kunst vor ’89“: Doppelausstellung im Potsdam-Museum und Galerie Ruhnke

Diese Katze duckt sich nicht hinter dem Stacheldraht. Sie bäumt sich auf und könnte ihn überspringen. Doch da sind auch blutrote Spuren im dichten schwarzen Fell, Zeichen von Verletzungen. „Natürlich habe ich mich in der DDR eingesperrt gefühlt, aber ich habe auch mitgestalten können“, sagt Ulla Walter vor ihrem 1988 entstandenen Bild „Schwarze Katze“.

Es gehört zu den rund 140 Werken der Ausstellung „Freiheit der Idee. 7 mal Kunst vor ’89“, die ab Sonntag im Potsdam-Museum und in der Galerie Ruhnke gezeigt werden. Diese Doppelschau möchte mit dem Vorurteil aufräumen, dass Kunst nur in Freiheit entsteht. „Ich regte mich im vergangenen Jahr furchtbar auf, als es die Ausstellung ,Sechzig Jahre – Sechzig Werke, Kunst aus der Bundesrepublik Deutschland von ’49 bis ’09’ gab und die DDR-Kunst darin gar nicht vorkam. Es bestand die Gefahr, damit abgegolten zu sein“, so die in Thüringen geborene Malerin Ulla Walter.

War die Kunst in der DDR wirklich so banal oder staatsgelenkt, dass sie in einer solchen Ausstellung nicht gezeigt werden konnte? Dieser Frage stellten sich der Galerist Werner Ruhnke und die Direktorin des Potsdam-Museums, Jutta Götzmann. Und sie nahmen die zum Museum gehörige „Galerie sozialistische Kunst“ in Augenschein, die von 1975 bis 1989 rund 5000 Werke ankaufte, die dem Namen der Sammlung längst nicht alle „Ehre“ machten. Darunter auch Werke von Frank Gottsmann, Roswitha Grüttner und Stephan Velten, die alles andere als eine staatstragende Sprache sprechen. Auf feinsinnige und kraftvolle Weise erzählen sie von Brüchen, Grenzen, Verstümmelungen, aber auch von Wut, Aufbegehren, Wildheit. In ganz individuellen Handschriften tragen sie ihre Persönlichkeit nach außen, in Reibung mit der Gesellschaft und mit der Sehnsucht, über den Tellerrand hinauszuschauen. „Denn natürlich wollten wir die großen Künstler Westeuropas nicht nur als Reproduktionen in Büchern sehen“, sagt Frank Gottsmann. Er durfte zu Jubiläen der Westverwandtschaft fahren und erhielt im Kunstmuseum Stuttgart wichtige Impulse, wie durch den Maler Willi Baumeister.

Gottsmanns 1988/89 entstandenes großformatiges Bild „Über der Stadt“ zeigt, wie sich alles ineinander verschiebt und auseinanderzubersten droht. Doch über diese Verkantungen geht aufrecht ein Mann, unbefleckt und angreifbar in seiner Nacktheit, der der schiefen Ebene widersteht. Wie Gottsmann betont, sei es in der DDR relativ einfach gewesen, sich dem politischen Druck zu entziehen, „einfacher als heute dem materiellen. Ich habe mich damals als ,Asozialer’ gefühlt, der sich parallel zur Gesellschaft auf ganz eigener Ebene bewegt. Aber immer im Kontakt zu Gleichgesinnten war. Damals stand die Frage: Was machen Wir? Nicht, was mache Ich?“ Mit Kollegen über Kunst zu diskutieren, habe sich heute auf ein Minimum reduziert. „Man sieht sich mehr als Marktkonkurrenten.“

Während es bei vielen Künstlern der DDR nach 1989 eine Lähmung gegeben habe, fühlte er einen Schub. Der Dozent der Fachhochschule Potsdam arbeitete unbeschwerter, die Schwarz-Weiß-Tristesse seiner Stadtbilder hellte sich auf. Kaum auszuhalten ist indes sein Bild „Pflegezimmer“ von 1984, in dem er zum Abschluss seines Studiums an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee das Warten auf den Tod in einem Pflegeheim in fühlbarer Intensität festhält. Inzwischen sind Menschen ganz aus Gottsmanns Bildern verschwunden, dennoch spürt man ihre Anwesenheit.

Es ist ein großer Verdienst der Gemeinschaftsausstellung, dass sie große Bögen schlagen und Dialoge provoziert. Indem sie sich auf sieben Künstler konzentrieren, erhält jeder Raum, seinen künstlerischen Werdegang vor und nach der Wende nachvollziehbar zu machen. „Wir wollten zeigen, wie unterschiedlich die Formen, Stilrichtungen und Techniken sind“, sagt Jutta Götzmann. Das wichtigste Auswahlkriterium sei dabei die Qualität gewesen. „Natürlich hätten wir andere auswählen können, aber wir wollten auch Künstler vorstellen, die über ihren Arbeitsprozess reden können“, betont Ruhnke. Und so laufen in den Ausstellungen Interviews, die zwischen Werk und Persönlichkeit sehr lebendig vermitteln und vielleicht Vorurteile abbauen helfen.

Ulla Walter, die wie Stephan J. Möller, Michael Arantes Müller und Falko Behrendt nicht in der Potsdamer „Galerie sozialistischer Kunst“ vertreten war, sondern durch die Galerie Ruhnke eingebracht wurde, begann an der Dresdener Kunsthochschule zu studieren. Bald entfloh sie dieser ideologischen Hölle und erreichte den weiten Himmel Leipzigs. „Dennoch war ich kurz davor, einen Ausreiseantrag zu stellen“, erinnert sich die 54-Jährige. Sie ging damals zu ihrem Professor, Bernhard Heisig, dessen Meisterschülerin sie war und setzte ihm das Messer auf die Brust: entweder kann ich in den Westen auf Besuch fahren oder ich gehe ganz. Sie erhielt eine Zweitagesreise. „Hätte ich nur einen Tag bleiben können, wäre ich vielleicht nicht zurückgekehrt. Doch am zweiten Tag stelle ich schon fest, dass auch im Westen nur mit Wasser gekocht wurde.“ Sie kehrte zurück, nabelte sich von der Übermacht des Professors ab und baute sich ihr ganz eigenes Refugium: in einem alten Tanzsaal in Schöneiche. Mit ihrer Künstlergruppe „Instabil“ eckte sie an und sorgte gern für Aufsehen auf ihrem kleinem Pulverfass. „Man konnte die DDR-Gesetzgebung durchaus untergraben und als Künstler auch Widerstand leisten.“ Sie fanden mit Chiffren eine Sprache, die die DDR-Bevölkerung zu lesen verstand. „Es schaffte Ermutigung, wenn man spürte, dass noch andere so denken wie man selbst. Wer zur Kunstausstellung nach Dresden fuhr, ging anders hinein, als er wieder heraus kam.“ Ihre nach der Wende entstandenen Bilder wirken wie eine Explosion, mit wilden farblichen Experimenten. „Nach diesem Rausch erschien mir die grell bunte Welt dann doch oberflächlich und ich entwickelte eine Gegenposition.“ Ulla Walter begann in ihrer temporären Kunstschule in Rüdersdorf mit Zement zu experimentieren. „Beton kann uns beschützen, aber auch zerstören“. Man fühlt in ihren Bildern, wie sich nackte Haut am harten Zement reibt.

Dieser Ausstellung mit dem Blick zurück nach vorn werden weitere folgen. „Wir planen für unser neues Domizil im Alten Rathaus eine Dauerpräsentation der Bildenden Kunst und auch den Beständen der ,Galerie sozialistischer Kunst’ werden wir in gewisser Rotation und unter bestimmten Aspekten Raum beigemessen“, so die Museums-Chefin. Befand sich diese Galerie gleich nach der Wende noch in einer Tabuzone, in die man lieber nicht hineinschauen wollte, gebe es jetzt ein anderes, weniger voreingenommenes Verständnis, betonte Frank Gottsmann.

Und so schreitet sein nackter Mann „Über der Stadt“ nun selbstbewusst mitten in der Stadt.

Zu sehen ab Sonntag bis 14. Februar im Potsdam-Museum, Benkertstr. 3 und Galerie Ruhnke, Charlottenstr. 122.

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