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Silvia Ladewig ist seit sechs Jahren Märchenerzählerin und findet für ihre Geschichten immer neue Orte.

© Andreas Klaer

Von Heidi Jäger: „Heute reise ich im Kopf“

Märchenerzählerin Silvia Ladewig lässt im Botanischen Garten „Das Dschungelbuch“ lebendig werden

Es klingt wie ein Märchen, wenn Silvia Ladewig erzählt, wie sie zu ihrer Berufung gefunden hat. Kein Wunder. Eines Abends saß sie auf ihrem Schemelchen am Schreibtisch und wusste ganz plötzlich: „Ich bin Märchenerzählerin“. Kurz nach dieser Eingebung las sie ein Interview mit der Märchenerzählerin Nina Madelein Korn aus Kleinmachnow und ahnte: „Sie wird meine Lehrerin.“ Silvia Ladewig vertraute dem Wink des Schicksals und begann von ihr zu lernen, Geschichten unter die Leute zu bringen. „Das hört sich vielleicht ein bisschen skurril an“, sagt Silvia Ladewig lachend. Aber Märchen gehen nun mal ungewohnte Wege. Sechs Jahre sind inzwischen vergangen, seit sich die heute 44-Jährige in ihrem neuen Leben eingerichtet hat. „Mein Brotberuf ist Buchhändlerin, doch für die Marmelade erzähle ich Märchen,“ sagt sie lachend.

Am morgigen Sonntag möchte sie mit ihrer Erzählkunst den Botanischen Garten in einen Dschungel verwandeln, in dem Mogli und Balu fabelhafte Geschichten erleben. Angereichert mit allerhand Musik und tierischen Geräuschen gelangt Kiplings Dschungelbuch auf ihre kleine Märchenbühne, die sie „Der Silberne Zweig“ nennt.

Silvia Ladewig versuchte sich nach ihrem Germanistikstudium schon einmal auf der Bühne: im freien Theater Forum Kreuzberg. „Doch ich taugte nicht zur Schauspielerin, da ich mir keinen Text merken konnte.“ Jetzt als Märchenerzählerin kann sie improvisieren, wenn ein Wort verloren geht. Hauptsache der rote Faden bleibt in ihren Händen. Die temperamentvolle Frau sieht sich noch immer als Lernende. „Bei einer guten Märchenerzählerin ist es wie mit dem Wein: Er reift mit dem Alter. Ich kann also auch noch Märchen erzählen, wenn ich alt und klapprig ist.“ Doch bis dahin fallen sicher noch viele Geschichten vom Märchenhimmel, die die gebürtige Westberlinerin in aller Welt aufsammelt. „Mal suchen Orte Geschichten, mal Geschichten Orte.“

So ließ sie ungarische Märchen im Ungarischen Spezialitätenladen Potsdam erklingen, in der Berliner Taverne „anno domini“ Geschichten aus dem Mittelalter. Und im Botanischen Garten sind es eben die Dschungelgeschichten von Mogli, die sich um die Lianen ranken und berichten werden, wie sich der kleine indische Junge im Wald verläuft und von Wölfen aufgenommen wird. Tschirkan, der Tiger, will den Fremdling fressen und gibt keine Ruhe. Jahre wartet er auf den verlockenden Bissen, und die Wölfe lassen sich irgendwann wirklich aufhetzen und verstoßen Mogli. Der geht ins Dorf zurück und lernt das Leben der Menschen kennen. „,Das ,Dschungelbuch’ von Rudyard Kipling habe ich erst kürzlich für mich entdeckt. Ich kannte nur den Disney-Film und eine alte Verfilmung von 1942. Doch die sind sehr anders als die Originalgeschichten mit ihrer sehr feinen, bildreichen Sprache. Die psychologischen Beziehungen sind komplex und die Welt der Tiere so komisch und so bitterernst dargestellt wie das wirkliche Leben.“ Für Silvia Ladewig sind Märchen zuvorderst für Erwachsene da und am allerbesten eignen sie sich für die ganze Familie. Sie will dort anknüpfen, wo der Erzählfaden irgendwann einmal riss, weil das Fernsehen dazwischen funkte.

„Wenn die Leute früher vom Feld kamen, saßen sie zusammen und erzählten sich Geschichten, vor allem an langen Winterabenden.“ Beim Klappern des Spinnrades wurde nicht nur Wolle, sondern auch Fantasie gesponnen. Bei Silvia Ladewig entfalten sich die Märchen auch ohne Spinnrad. Oft findet sie ihre funkelnden Schätze der Poesie im Antiquariat und ist begeistert „über die wunderbaren Bücher aus der DDR, wo so viele Märchen gesammelt wurden“. Durch ihre literarischen Feldzüge sei sie inzwischen reisefaul geworden. „Heute reise ich im Kopf.“ Ihre Koffer stehen inzwischen in Babelsberg, wo sie vor gut drei Jahren angekommen ist und mit ihrem Kunst- und Lebenspartner Sebastian Dreyer sowie den zwei Kaninchen, ihren „Krafttieren“, zusammen wohnt. „Ich kam vom Hot-Spot-Vergnügungsviertel am Savignyplatz hierher und habe es keine Minute bereut. Ich schaue auf ein Gärtchen und einen weiten Himmel. Und sehe die Katze vom Nachbarn vorbei laufen.“ Ein Auftanken in märchenhafter Ruhe. Da lässt sich’s trefflich Fabulieren und den Dschungel schon mal im Geiste durchkämmen. Im Botanischen Garten werden die indische Sitar, Trommeln und das selbstgebaute Blumentopf-Xylophon Sebastian Dreyers das abenteuerliche Treiben anheizen. „Geeignet ist die Märchenstunde für Ausgewachsene und Junges Gemüse ab sieben Sonnenumläufen“, sagt Silvia Ladewig, die sich oft selbst auf ihrer Kantele begleitet. Jenem finnischen Zupfinstrument, das der Zaubersänger Väinämöinen aus dem Kiefer eines gigantischen Hechts schnitzte. Aus den Zähnen machte er die Wirbel, für die Saiten nahm er Rosshaare. Und wenn er sie spielte, kamen alle Tiere des Waldes herbei und lauschten. Die Menschen ließen ihre Arbeit ruhen und waren vom Klang ergriffen.

24. Oktober, 16 Uhr, Botanischer Garten, Maulbeerallee 2. Eintritt: 5 Euro

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