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Von Heidi Jäger: „Gott des Klavierspiels“

Ab Samstag gibt es im Kutschstall die Ausstellung über Wilhelm Kempff „Ich bin kein Romatiker“

Schon mit sechs Jahren komponierte er seine ersten Stücke. Da der kleine Wilhelm selbst noch keine Noten schreiben konnte, notierte sie der Vater für ihn. Als er elf war, gab Wilhelm Kempff sein erstes Konzert: im Palast Barbarini. Dort riss das Wunderkind die Potsdamer zu wahren Begeisterungsstürmen hin. Bis ins hohe Alter wurde er gefeiert. Er spielte auf Konzertpodien der ganzen Welt, von Amerika bis Afrika, und galt vor allem in Japan und Frankreich als „Gott des Klavierspiels“.

Den Weg in die Welt trat er von Potsdam aus an, dort, wo ihm ab Samstag die Ausstellung „Ich bin kein Romantiker“ gewidmet ist. Die Akademie der Künste Berlin gibt sich im Kutschstall, dem Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, die Ehre – in der Gewissheit, dass die Hauptstädter auch den Weg hierher finden, wie Kurator Werner Grünzweig in einem PNN-Gespräch betont. In Potsdam habe der Musiker schließlich rund 40 Jahre seines Lebens verbracht.

Er zog als jüngstes Kind des Kantors Wilhelm Kempff und seiner Frau Clara fünfjährig von Jüterbog nach Potsdam, als der Vater an die Nikolaikirche berufen wurde. Das Haus von Wilhelm Kempff jun. am Neuen Garten sei noch immer im Familienbesitz. Das Musikarchiv der Akademie der Künste, das rund 120 Nachlässe von Komponisten, Interpreten und Dirigenten verwaltet, bekam in den vergangenen vier Jahren eine Vielzahl wichtiger Dokumente über den 1991 im Alter von 96 Jahren verstorbenen Kempff. Schließlich gebe es kaum eine Karriere, die länger währte, kaum einen Pianisten, der häufiger sein Spiel auf Schallplatte dokumentierte als er, so Grünzweig. So kann die Ausstellung „Ich bin kein Romantiker“ diese Doppelbegabung, die spielte und zugleich komponierte, auch für den Besucher hör- und damit erlebbar machen.

Aus der Zeit, als Kempff noch leidenschaftlich gern improvisierte und vom Publikum vorgegebene Themen meisterhaft verarbeitete, sei indes nichts auf Platte überliefert. Denn Anfang der 20er Jahre schüchterte ihn ein Brief des italienischen Komponisten Ferruccio Busoni derart ein, dass er davon Abstand nahm. Busoni hatte ihm geschrieben, dass Improvisation das Künstlertum nur verderbe.

In dem die Ausstellung begleitenden großen Katalog wird indes der Komponist Klaus Hellwig, der bei Kempff in den 60er Jahren einen Meisterkurs in Positano belegte, darüber berichten, wie Kempff ohne Noten, allein aus der Klangvorstellung, im Stegreif ein Klavier-Konzert von Chopin spielte, das nicht zu seinem ständigen Repertoire gehörte. Nicht einen Akkord habe er falsch gespielt.

Kempff, der oft als „Bühnenlöwe“ bezeichnet wurde, sei von zarter Gestalt gewesen, sagt der Kurator. Anders als das offizielle Kempff-Bild des eher strengen, magistral aussehenden Mannes, sei er in Wirklichkeit eher extrovertiert und witzig gewesen, „ein angenehmer Zeitgenosse, der gern Anekdoten zum Besten gab“, so der Kempff-Forscher.

Bevor sich Wilhelm Kempff 1953 an der italienischen Amalfi-Küste sein Arkadien schuf und dort Meisterkurse gab, unterrichtete er bereits von 1931 bis 1943 im Potsdamer Marmorpalais. Während die Ausstellung in Wort und Bild Lebensetappen von Kempff chronologisch einfängt, gibt es auch thematische Vertiefungen, so über sein Verhalten in der Nazi-Zeit. „Kempff wurde Teil der Propagandamaschine. Er war Aushängeschild des ,Dritten Reiches“, ohne dass eigenständige politische Ambitionen erkennbar waren. Um so grausamer die Planungen des ,Dritten Reiches“ wurden, um so wichtiger war den Nazis ihre Außenwirkung als Kulturstaat“, so Grünzweig.

1932 wurde Kempff, noch unter der Präsidentschaft von Max Liebermann, in die Akademie der Künste gewählt. Dass gleichzeitig sein ehemaliger Lehrer und Freund, der jüdische Komponist Robert Kahn, ausgeschlossen wurde, irritierte ihn wohl, doch er habe es in Kauf genommen. „Dabei hätte man zu jener Zeit durchaus noch die Möglichkeit gehabt, ohne eigene Gefährdung, gegen den Ausschluss zu protestieren, beispielsweise durch den eigenen Austritt“, so Grünzweig. Als Privatmann habe sich Kempff indes für Kahn eingesetzt, was Briefe des Komponisten, der in den späten 30ern nach England emigrierte, belegen. Man könne es Kempff natürlich nicht anlasten, dass sein Repertoire von Bach bis Brahms der Kunststrategie der neuen Machthaber genau entsprach, „was aber Kempff nicht erkannte, war der fatale Umstand, dass in jener Zeit nicht nur Kultur, sondern auch Künstler selbst nur Mittel zum Zweck waren.“

Zu den sieben Themen, die in der Schau ebenfalls vertieft werden, gehört das Schaffen Kempffs als Komponist. Als Wilhelm Furtwängler 1924 seine 2. Sinfonie im Leipziger Gewandhaus uraufführte, sei das eine besondere Freude für ihn gewesen. Neben Sinfonien schrieb er auch viel Kammermusik und Lieder und auch vier Opern, für die er zum Teil auch die Libretti verfasste. Darin siegt am Ende immer das Gute und Schöne und vor allem die Liebe.

In extra für die Ausstellung gekauften bequemen Stühlen kann der Besucher unter Kopfhörern dem Pianisten und Komponisten ganz nahe sein.

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