zum Hauptinhalt

Von Gerold Paul: Ach, diese Melancholie

Die Potsdamer Autorin Sonja Schüler hat ihren neuen Lyrikband „Botschaft der Bäume“ vorgestellt

So ein 60. Geburtstag ist von ganz anderem Kaliber als der 50. Er macht melancholischer, er macht beredt: Jetzt will man noch mehr gehört, noch deutlicher wahrgenommen werden. Auch mehr geliebt, das ist wichtig. So etwa erging es der Potsdamer Autorin Sonja Schüler wohl am Mittwoch im Hause der Natur. Mit leichten, doch stets charmanten Seufzern präsentierte sie nach geschlagenen 28 Jahren Pause ihren vierten Lyrikband mit dem schönen Titel „Botschaft der Bäume“. Die knapp 100 Texte entstammen den letzten 13 Jahren, aber das ist natürlich mehr Statistik als Leben.

Es sind Liebesgedichte, Lebenssummen, Erfahrungen, in fünf Themenkreisen wie „Den Wurzeln vertrauen“, „Wir schieben das Dunkel hinaus“ oder „Wen weckt der Hahn“ gefasst. Das Buch ist innere und äußere Chronik zugleich. Innen toben die Gefühle, wenn man sich fast trotzig mit 60 noch mal verliebt, wenn man im Leben Festigkeit sucht und schließlich findet: „Es gibt nichts Größeres und Haltbareres als eine Wiese. Das Gras, auf das man tritt, richtet sich hinter einem wieder auf.“ Van Gogh scheint ihr der menschliche Ausdruck für diese Metapher zu sein.

Außen regt sich die gelernte Agrotechnikerin und Kulturwissenschaftlerin schon darüber auf, weil heute schon ein kurzer Kettensägen-Lehrgang genüge, um völlig ungestraft öffentliche Bäume und Sträucher zu malträtieren, damit nur alles gleich aussieht. Sonja Schülers „Botschaft der Bäume“ umkreist Lebensthemen in einer überschaubaren Zahl poetischer Topoi. Als Zwillingsgewächs ist es der „Vaterbaum-Mutterbaum“, zum Tiefergründen und Stolpern sind es die Wurzeln, Fische und Wolken gehören zu den beweglichen Dingen, und der Sand, immer wieder Sand, decke „zärtlich meine Bitterkeit“. Ihn hat Sonja Schüler erst in ihrer „zweiten Heimat“, in Tunesien, entdeckt, obwohl es ihn auch hierzulande haufenweise gibt.

Ja, wen weckt nun der Hahn im „Buch ohne Lügen“, was sind das für Wurzeln, denen Sonja Schüler angeblich vertraut? Der Platane in Potdams Eisenhartstraße, der entwurzelten Linde oder jene märkischen Allee, wo sich Sand und Wind mischen „und wo morgen ein Holzstoß brennt“ aus weiß markierten Bäumen mit?

Der Grafiker und Illustrator Karl-Heinz Appelmann hat viel dafür getan, Schülers melancholischen Gedichtzyklen, die ja gemäss der Sentenz „Du bist das Ufer, ich bin das Gras“ märkische und andere Liebesgedichte sein wollen, durch schöne und intelligente Bildfindungen aufzuhellen. Seine Symbiosen von Baum und Liebespaar, auf dem Titelblatt zum Beispiel, laden den Leser ein, Hexenfeenfrauen, Strandgut, Fisch und gar „Eden“ im Schnee zu begegnen.

Sonja Schüler verlässt ihr lyrisches Ich nicht, der Baum neben ihr ist das „Du“ und alles andere, dazu: „Wieder ist ein Fluss durch mich hindurchgeflossen...“ Ach, warum kann man solche Verse nicht auch mal fröhlich vortragen, oder mit lächelndem Munde lesen? Warum dieses Seufzen im Blut? Vielleicht leidet Sonja Schüler zu sehr am Zustand der Welt. Was man sich aufpackt, das muss man auch tragen, und wem mehr Fragen als Antwort begegnen, der sollte wenigstens das Lachen nicht verlernen. Alle neunundneunzig Gedichte durchzieht ja nur eine einzige Frage: Hat ihre Autorin nun zu den gesuchten Wurzeln gefunden, und kann sie ihnen wirklich schon vertrauen, oder noch nicht? Der 60. Geburtstag ist dabei nicht das Problem. Wetten, dass der nächste wieder ganz heiter sein wird?

Sonja Schüler „Botschaft der Bäume. Märkische und andere Liebesgedichte“ Individuell Verlag, Brandenburg 2010, 126 Seiten, 9, 80 Euro

Gerold Paul

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false