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Von Astrid Priebs-Tröger: Schuld und Scham

Harlan-Familien-Porträt beim Jewish Film Festival

Der Name „Harlan“ ist beschmutzt. Man kann ihn nicht aussprechen, ohne an den Film „Jud Süß“ – eines der schlimmsten antisemitischen Machwerke im dritten Reich – zu denken. Auch fast 70 Jahre nach seiner Fertigstellung und dem anschließenden Siegeszug durch ganz Europa wird er heute nur unter strengen Auflagen in der Öffentlichkeit gezeigt. Gleichzeitig gilt Veit Harlan als begabter Regisseur und ist neben Leni Riefenstahl die wohl schillerndste Figur des Nazifilmes. Seine Filme waren Kassenschlager und er selbst ein „Spezialist“ für Melodramatik und Todesverklärung. Noch heute sind viele Zuschauer von der Ästhetik und der düster-verführerischen Kraft der Harlan-Filme fasziniert.

Was aber hat ein Dokumentarfilm über diesen Regisseur auf einem jüdischen Filmfestival, das am Wochenende zum sechsten Mal im Filmmuseum Station machte, zu suchen? Wenn man den Film „Harlan – Im Schatten von Jud Süß“ von Felix Möller gesehen hat, stellt sich diese Frage nicht mehr. Der Filmhistoriker dekliniert nicht vordergründig die sogenannte „Mephisto-Problematik“ – also das Verhalten des Künstlers in der Diktatur – ein weiteres Mal durch, sondern beleuchtet anhand von Gesprächen mit Kindern und Enkeln des Regisseurs, wie lang der Schatten von „Jud Süß“ auch heute noch ist. Enkelin Alice, Tochter von Harlans ältestem Sohn Thomas, lebt in Paris und erzählt im Film, wie sie eine Geschichtslehrerin vor der gesamten Klasse bloßstellte, indem sie auf die Namensgleichheit anspielte.

Als „dreckige Deutsche“ wurde sie daraufhin von ihren französischen Mitschülern mehr als 30 Jahre nach dem Krieg benannt. Heute arbeitet sie als Physiotherapeutin und hat viele jüdische Holocaustüberlebende unter ihren Patienten. Wie extrem der Riss ist, der durch die weitverzweigte Harlan-Familie geht, zeigt sich auch am Beispiel der Enkelin Jessica Jacoby. Sie ist die Tochter von Susanne Körber, die der ersten Ehe Veit Harlans mit der Schauspielerin Hilde Körber entstammt. Sie heiratete später den jüdischen Fotografen Claude Jacoby, dessen Eltern der Rassenideologie, zu dessen Verbreitung Veit Harlan mit „Jud Süß“ maßgeblich beigetragen hat, zum Opfer fielen.

Auch Harlans Sohn Thomas hat schwer unter der Last der Verantwortung, die er als Erstgeborener für den Vater, der sich nach dem Krieg für seine Mittäterschaft weder entschuldigte noch von ihr distanzierte, übernahm, gelitten. Von den eigenen Geschwistern als „Nestbeschmutzer“ empfunden, hat er sich an der Biografie des Va-ers direkt und indirekt als Autor und Regisseur immer wieder abgearbeitet; seit 2001 lebt er in einem Lungensanatorium bei Berchtesgarden. Das Bild, das Felix Moeller über den Umgang der Familie mit dem Erbe Veit Harlans zeichnet, ist facettenreich. In der zweiten und dritten Generation der Nachgeborenen finden sich alle Varianten: von gnadenloser Abrechnung über Verteidigung bis zum indifferenten Lavieren.

Aber, und das ist keineswegs die Regel, keiner der Angehörigen hat sich verweigert, darüber zu sprechen, ob dieses Erbe anzunehmen oder auszuschlagen sei. Und die Generation der Enkel ist langsam in der Lage, wieder das gemeinsame Gespräch zu suchen, wie die am Samstag im Filmmuseum anwesende Enkelin Jessica Jacoby mit Erleichterung feststellte.

Auf die Publikumsfrage nach der Aufhebung des Aufführungsverbotes für „Jud Süß“ entgegnete Felix Moeller, dass der „Gewinn“ in diesem Falle fraglich und das in den letzten Kriegsmonaten entstandene Durchhalteepos „Kolberg“ schon (wieder) Schulungsmaterial der brandenburgischen Rechten sei.

Astrid Priebs-Tröger

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