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Von Astrid Priebs-Tröger: Polyphone Sicht auf Heimat

Musik zum Ausklang des Localize-Heimatfestivals

Es ist noch gar nicht so lange her, da befand sich in der Lindenstraße 15 noch ein Schreibwarengeschäft. Zugegebenermaßen ist so etwas eigentlich nicht der Rede wert. Aber dieser Laden war etwas Besonderes. Er war irgendwie aus der Zeit gefallen. Hinter einer L-förmigen Holztheke bediente eine freundliche Verkäuferin jeden Kunden eigenhändig und wenn man bei den einschlägigen Ketten etwas nicht bekam, ging man dort hin. Oder einfach so, weil es dort irgendwie heimelig war.

In der vergangenen Woche wurde der ehemalige kleine Laden und das ganze dazugehörige Haus im Rahmen des „Localize-Heimatfestivals“, das von Studierenden des Studienganges Europäische Medienwissenschaft der Universität und der FH Potsdam in diesem Jahr zum ersten Mal veranstaltet wurde, kurzerhand zum Ausstellungsort erklärt und mit diversen Lesungen, Musik-Performances und Vorträgen zum Thema Heimat „bespielt“. Und bereits jeder Vorübergehende wurde durch zwei riesige Alustelen und das wunderbar nostalgisch dekorierte Schaufenster der Potsdamer Künstlerin Dorothea Neumann eingeladen, sich selbst auf eine Entdeckungsreise zu begeben.

Und die lohnte sich ungemein. Nicht nur, weil die Zimmer des Hauses verschiedene „Überbleibsel“ der jüngeren Vergangenheit, von Künstlern wunderbar inszeniert, boten, sondern weil die gesamte Atmosphäre etwas Besonderes war. So auch, als Falk Rößler, Simon Vincent und Tino Kühn im Wohnzimmer großen Innenhof unter freiem Himmel und vor wunderbar morbider Kulisse ihr literarisch-musikalisches „Heimatprogramm“ zum Besten gaben.

Falk Rößler (Jahrgang 1983) hatte seinen Uni-Dozenten, den englischen Komponisten und Performer Simon Vincent (Jahrgang 1967) und seinen Freund Tino Kühn, einen musikinteressierten Bastler, eingeladen, dieses Programm gemeinsam zu entwickeln. Neben Texten von Jon Fosse und Samuel Beckett war immer wieder ein Lied zu hören. „Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer“ dürften vor allem jene kennen, die zu DDR-Zeiten hier zur Schule gingen. Und wenn man, was gelang als der Brite die Textzeilen ohne Musik Revue passieren ließ, sich den Inhalt noch einmal vergegenwärtigte, wurde einem wie im Zeitraffer bewusst, dass sich seitdem wirklich alles geändert hat.

Gefühle von Erleichterung und Wehmut stellten sich nahezu gleichzeitig ein. Aber dafür blieb keine Zeit, denn die „polyphone“ und polyglotte Performance thematisierte eindrücklich die Ambivalenz des Heimatbegriffes. Und zeigte mehr als einmal und sogar mit handgreiflichen Argumenten, dass schon drei Personen dabei nicht auf einen Nenner zu bringen sind. Außerdem war sie ein – manchmal allerdings etwas zu kakofonischer – Ohrenschmaus.

„Harmonischeren“ Tönen konnte man dann im Anschluss im ehemaligen Schreibwarenladen, der sogar mit einer Reihe samtiger Theatersessel ausgestattet war, lauschen, als das Frauenduo „Hand in Hand“ mit viel ansteckendem Temperament Lieder über das Leben, Heimat- und Sehnsuchtsgefühle spielte. Und wieder war es so richtig behaglich und gemütlich, so dass man sich wünschte, diesen Ort als neuen Treffpunkt in der Potsdamer Innenstadt zu etablieren und die Spuren der Vergangenheit genau zu diesem Zweck zu konservieren.

Astrid Priebs-Tröger

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