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Was tun? Schweren Herzens lässt die Mutter (Andrea Schwemmer) ihre kranke Tochter (Ulla Schlegelberger) auf der Flucht zurück.

© Stefan Gloede/HOT

Von Astrid Priebs-Tröger: „Liesl, wo bist du?“

„Malka Mai“ gelangte gestern im Jungen Theater in der Reithalle A zur Uraufführung

„Mein Herz hat richtig gepocht“, sagte der 10-jährige Marvin, als die Premiere von „Malka Mai“ zu Ende war. Das Junge Theater des Hans Otto Theaters eröffnete mit der Bühnenfassung des gleichnamigen Romans von Mirjam Pressler am Donnerstagvormittag seine diesjährige Spielzeit. Marvin und sein Freund Florian von der Albert-Einstein-Grundschule in Caputh gehörten zu den ersten, die die dramatische Fluchtgeschichte der jüdischen Ärztin und ihrer Töchter Minna und Malka in der Reithalle A erleben konnten.

Sie waren von Theaterpädagogen und ihren Lehrerinnen thematisch darauf vorbereitet worden, denn die Stückfassung, die von Ulrike Hatzer und Andreas Steudtner erarbeitet wurde, ist kein leichter Stoff. Normalerweise verfügen Grundschulkinder noch nicht über genügend historisches Wissen, um die Judenverfolgung und -vernichtung im Dritten Reich einordnen und bewerten zu können. Dessen ungeachtet kommen immer wieder Anfragen von Lehrern, sagt Andreas Steudtner im Gespräch, die die Auseinandersetzung mit solchen Themen einfordern. Also machte er sich gemeinsam mit Regisseurin Ulrike Hatzer daran, den über 300 Seiten starken Roman der renommierten deutschen Kinderbuchautorin für die Bühne zu bearbeiten.

Dass das kein leichtes Unterfangen war, begreift man, wenn man die 90-minütige Vorstellung erlebt hat. Denn nur drei Schauspielerinnen schlüpfen in unzählige Rollen und verkörpern in schneller Abfolge, jedes Mal für wenige Augenblicke, ganz unterschiedliche Typen und Charaktere. Sie sind mal Mutter und Tochter, mal Gendarm und Bauer oder auch Krankenschwester und SS-Mann. Die Stationen der ein halbes Jahr andauernden Flucht – aus einem polnischen Dorf über die Karpaten bis nach Budapest – werden im wandlungsfähigen Bühnenbild von Marek Hertel mit wenigen Grundrequisiten glaubhaft dargestellt. Graue Holzbänke sind sowohl Häuser, Betten oder sogar Berge. Eine einzige Wasserschüssel dient zum Waschen, als Brunnen oder als Bergbach, den man überspringen muss auf der atemlosen Flucht.

Die siebenjährige Malka, sie wird verkörpert von Ulla Schlegelberger, versteht lange überhaupt nicht, was passiert, als sie nach einer sogenannten „Aktion“ ihr Dorf gemeinsam mit ihrer etwa doppelt so alten Schwester (Gundula Hoffmann) verlassen muss. Es kommt noch schlimmer, als sie die Mutter (Andrea Schwemmer) mit hohem Fieber und Puppe Liesl allein bei einem Bauern zurücklassen muss. Malka – der Name bedeutet kleine Königin – durchläuft in wenigen Wochen einen Wandlungsprozess, der ihr alles abverlangt. Großartig, wie es Ulla Schlegelberger gelingt, das anfangs vorwitzige kleine Mädchen immer aufs Neue mit ungeahnten Kräften auszustatten. Aber auch ihre halbwüchsige Schwester Minna muss ganz schnell erwachsen werden. Und die Mutter ist wegen ihrer folgenschweren Entscheidung, ihre Jüngste zurückzulassen, als auch durch die zunehmende Entfremdung von ihrer älteren Tochter einem heftigen Wechselbad der Gefühle ausgesetzt. Einfach Klasse die Leistung aller drei Protagonistinnen, die sowohl die epische Breite als auch die dramatische Tiefe des Geschehens zu bedienen hatten.

„Es war alles drin“, sagten auch Marvin und Florian einhellig, und obwohl sie sich manchmal wegen der vielen Wechsel nicht so gut konzentrieren konnten, zählten sie auf, was sie am meisten beeindruckt hat: Das heftige Gewitter auf freiem Feld, die Judenerschießungen und der kleine Antek. Lachen und Traurigsein lagen bei ihnen dicht beieinander, wie auch die Feststellung, dass sie das Ende der Geschichte nicht verstanden haben. Außerdem wollten sie wissen, was genau eine „Aktion“ sei und warum nur Mädchen im Stück mitgespielt haben. Langanhaltender Applaus nach einer berührenden Uraufführung.

Nächste Vorstellung Sonntag, 15 Uhr.

Astrid Priebs-Tröger

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