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Von Astrid Priebs-Tröger: „Aktenkundig: Jude!“

Monika Nakath stellte ihre Quellenedition vor

Mehr als zwanzig Stolpersteine gibt es inzwischen auf Potsdams Gehwegen. Sie machen auf die Verfolgung und Ermordung von jüdischen Mitbürgern im Nationalsozialismus aufmerksam. Vor allem junge Menschen beschäftigen sich in dem Projekt des Kölner Künstlers Gunter Demnig, das dieser vor mehr als zehn Jahren initiierte. Um Quellen zu recherchieren, begeben sie sich oft ins Brandenburgische Landeshauptarchiv und begegnen dort Monika Nakath, die sich seit 17 Jahren mit brandenburgischer Zeitgeschichte und dabei besonders mit der Geschichte der Juden in der Provinz Brandenburg befasst.

Am Donnerstagabend stellte Monika Nakath als Resultat ihrer langjährigen Recherchen und als Begleitmaterial zu der gleichnamigen, vor zwei Jahren auf den Weg gebrachten Wanderausstellung den Band „Aktenkundig: Jude! Nationalsozialistische Judenverfolgung in Brandenburg“ im Kutschstall vor. Der Veranstaltungssaal war bis fast auf den letzten Platz besetzt und die zumeist älteren Anwesenden folgten mit großer Anspannung dem Gesagten. Aus den mehr als 60 000 vorhandenen Akten des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg wählte die Wissenschaftlerin 155 Dokumente, die Boykott und Ausgrenzung bis hin zu Deportation und Ermordung tausender jüdischer Menschen chronologisch und so schlagkräftig dokumentieren, dass die Aussage von Zeitgenossen, „es nicht gewusst zu haben“, anhand dieser Quellen einmal mehr ad absurdum geführt wird.

Dieses Buch entwickelt einen nahezu unheimlichen Sog, beginnend mit der detailgenauen Personenbeschreibung von Adolf Feldmann aus dem KZ Oranienburg von 1933 bis hin zum Totenschein für Roza Schlesinger vom 5. Juli 1944 in Theresienstadt. Diese amtlichen Dokumente mit ihrer seelenlosen Sprache, den offiziellen Stempeln, Unterschriften und den unzähligen handschriftlichen Bemerkungen zeigen die maßlose und übertrieben korrekte Bürokratie des NS-Verbrechens. Daneben finden sich zahlreiche Dokumente, die regionale Akteure der nationalsozialistischen Judenverfolgung wie Landräte, Bürgermeister, Amtsvorsteher und die vielen Profiteure, allen voran Banken, Versicherungsgesellschaften sowie Energiebetriebe, Vermieter und selbst die Nachbarn der Opfer aus der Anonymität holen.

Monika Nakath präsentierte während der Buchvorstellung nicht nur einmal Schriftstücke, in denen sich Amtspersonen auf offiziellem Wege ungeniert die Vorkaufsrechte für ehemaligen jüdischen Besitz sicherten. Und sie veröffentlicht einige der wenigen erhaltenen Fotodokumente von Opfern, die neben diesen auch Passanten zeigen, die dem Deportationszug zum Beispiel in Brandenburg an der Havel am Straßenrand beiwohnen.

Neben diesen offiziellen Dokumenten, zu denen auch Listen mit sogenannten „nicht arischen“ Geschäften in Potsdam von 1937 und anderswo zählen, finden sich auch persönliche Schriftstücke von den Menschen, denen die unzähligen Repressalien galten. Erstmalig wird der erschütternde Abschiedsbrief der 67-jährigen Berta Simonsohn veröffentlicht, die zuletzt in der Brandenburger Straße 19 lebte, bevor sie mit dem vorletzten der insgesamt 14 Potsdamer Transporte im April 1943 über Berlin nach Theresienstadt deportiert wurde, wo sie zwei Monate später starb. Seit 2008 erinnert ein Stolperstein vor dem Haus mit dem Leonardo-Store und dem vor Kurzem eröffneten Betty Barclay-Geschäft an sie.

Wie unsäglich die Mechanismen der deutschen Verwaltungsbürokratie nachwirken, erzählte einer der Anwesenden in der sich anschließenden Diskussion. Er berichtete, wie seine Mutter 1953 Unterlagen für ein Entschädigungsverfahren bei der Commerzbank beibringen sollte, die sie nicht haben konnte und wie die Bank für ihre eigenen Mühen dann drei DM verlangte. Der Enkel wies, wie auch der Direktor des Landeshauptarchivs Klaus Neitmann, darauf hin, dass die DDR nicht sonderlich interessiert an einer Erforschung der jüdischen Geschichte und auch nicht an der Wiederherstellung jüdischen Eigentums gewesen sei.

Monika Nakaths Buch zeigt detailliert das ganze Spektrum der mittleren Verwaltungsbürokratie, die die Judenverfolgung vor Ort umgesetzt hat und wirkt damit, wie einer der Teilnehmer sagte, nachhaltig „dem Gefühl entgegen, dass man alles schon gewusst hat.“

Monika Nakath (Hg.): „Aktenkundig: Jude!, Nationalsozialistische Judenverfolgung in Brandenburg“, bebra-verlag, Berlin-Brandenburg 2010, 34 Euro

Astrid Priebs-Tröger

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