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Kultur: Vom Glück der Gemengelage

Michael Krüger über das Schreiben und Lesen – als Gast im Peter-Huchel-Haus in Wilhelmshorst

Kunstwerke haben im entscheidenden Moment Glück gehabt. Diesen Satz von Adorno zitierte Michael Krüger Donnerstagabend bei einer Lesung im Wilhelmshorster Peter-Huchel-Haus. Zu den Kunstwerken gehören auch Wortwerke, Gedichte, vor allem Gedichte. „Man kann gute Gedichte nicht herstellen wie ein Produkt. Ein gutes Gedicht braucht eine bestimmte Gemengelage.“ Der Moment muss also stimmen, sagte Krüger. Der 73-jährige Dichter, Übersetzer und bis 2013 Leiter des Carl Hanser Verlags war in der Reihe „Huchel neu gelesen“ zu Gast. Neben Gedichten von Huchel las Krüger auch Eigenes. Und sprach mit dem Berliner Publizisten Michael Opitz über das Gedichte-Schreiben an sich – eine Kunst, die nicht auf Bestellung kommt.

Das Lesen von Gedichten braucht ebensolche Glücksmomente. Braucht wie das Schreiben die passende Gemengelage, „damit der Zeiger ausschlägt“, wie Krüger es nennt, wenn das Gedicht einen berührt. Und immer ist es etwas anderes, das den Ausschlag gibt. Immer ist es auch eine andere Lesart. „Jeder liest so, wie nur er es kann“, sagte Krüger.

Insofern sind öffentliche Gedichtlesungen vielleicht ein großer Irrtum. Oder, positiv ausgedrückt, ein optimistischer Versuch, die Gemengelage so zu gestalten, dass die Zeilen und Wörter ihren Platz ganz von alleine finden. Das Haus in Wilhelmshorst ist nicht der schlechteste Ort dafür. Huchels Gedichte sind hier zu Hause. Noch immer, oder jetzt erst recht, seitdem hier keine Stasi mehr den Dichter, der 1971 endlich nach Westdeutschland übersiedeln durfte, bespitzelt. Und Träume im Tellereisen zerschmettert wurden. Im November, der in Wilhelmshorst noch dunkel ist und still, muss man auch Huchels „Exil“ lesen. „Am Abend nahen die Freunde, / die Schatten der Hügel. / Sie treten langsam über die Schwelle, / verdunkeln das Salz, / verdunkeln das Brot / und führen Gespräche mit meinem Schweigen“. So Huchels Worte über das Alleinsein in diesem Land, in diesem gottverlassenem Nest, in dem es auch Abende mit vielen Freunden gab, in eben diesem geräumigen Wohnzimmer, wo jetzt die Lesung mit gut 80 Gästen stattfand. Und Michael Krüger, der Huchel noch kennenlernen konnte im Exil, der machte das ganz wunderbar. „Das Gute an Gedichten ist, dass man sie immer wieder lesen kann.“

Und wie hat Huchel gedichtet? Er habe oft Verse vor sich hin gemurmelt, erzählte Krüger. Er kennt das Phänomen. „Erst ist es eine Zeile, die geht einem nicht mehr aus dem Kopf. Und dann beginnt die Arbeit.“ Steffi Pyanoe

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