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Nachspiel. Nina Gummich (Lise Henkel), Marianna Linden (Lotte Laserstein), Philipp Mauritz (Ernst Rose), Meike Finck (Traute Rose, v.l.) in „Der Abend über Potsdam“.

© HL Böhme

Kultur: Vom Bebildern eines Bildes

Der „Abend über Potsdam“ hatte Premiere am Hans Otto Theater. Es ist ein Stück mit Mängeln

Am Anfang von „Abend über Potsdam“ steht der „Abend über Potsdam“. Isabel Osthues’ Inszenierung des gleichnamigen Stücks von Lutz Hübner und Sarah Nemitz, das am Freitag Premiere feierte, beginnt mit einer großformatigen Projektion des berühmten Gemäldes von Lotte Laserstein. Bevor das Stück seinen Lauf nimmt, kann man die fünf jungen Menschen betrachten, die schweigend um einen Tisch herumsitzen, in sich versunken. Jeder für sich. Im Bildhintergrund eine Balkonbalustrade und die Dächer Potsdams, der Himmel ist zugezogen. Der Krieg hat noch keine Wunden im Stadtbild hinterlassen: Die Garnisonkirche ist zu sehen. Das Bild entstand 1930. Es ist ein zeitgenössisches Abendmahl. In der Bildmitte, wo in klassischen Darstellungen Jesus, die Hoffnung, positioniert ist, sitzt hier ein blondes Mädchen. Den wässrig blauen Blick – traurig oder bockig? – richtet sie an uns vorbei. Kein Versprechen, sondern pure Ratlosigkeit.

Lasersteins Gemälde zieht einen in seinen Bann, gibt Rätsel auf. Weil man das, was man hier sieht, glaubt zuordnen zu können: Weltwirtschaftskrise, aufkommender Nationalsozialismus, das Ende der freien Ära der Weimarer Republik. Einerseits. Und weil Lasersteins melancholisches Bild andererseits aber einen Kern hat, der sich nicht entschlüsseln lässt, der sich entzieht. Deshalb lässt es einen nicht los. Den Impuls des Hans Otto Theaters, über dieses Geheimnis, die politische Dimension des Gemäldes, einen Theaterabend in Auftrag zu geben, versteht man sofort. Sitzt nicht die AfD auch im Potsdamer Landtag? Ist nicht die Frage nach dem Wohin, die das Mädchen in der Bildmitte stellt, heute so dringlich wie eh und je? Ist die Sprachlosigkeit, die Vereinzelung, die das Bild bestimmt, nicht aktueller als jemals zuvor?

Das alles mag sein. Warum also sitzt man vor dem Theaterstück, das auf dem Gemälde basiert, größtenteils wie vor einem Bilderbuch aus vergangener Zeit? Ein möglicher Grund: Autoren und Regieteam haben die starke Vorlage von Lotte Laserstein extrem ernst genommen, haben das Gemälde genau studiert, die Zeit der Entstehung akribisch recherchiert. Aber im Bebildern des Bildes ist das Geheimnis der Vorlage verloren gegangen.

Das Stück „Abend über Potsdam“ erzählt die fiktive Entstehungsgeschichte von Lasersteins Gemälde. Das beginnt im September 1929, einen Monat vor dem „Schwarzen Freitag“, dem Börsencrash in New York. Malerin Lotte (Marianna Linden) hat die, die sie auf einem Bild versammeln will, auf eine Terrasse nach Potsdam eingeladen: ihre Freundin Traute (Meike Finck), deren Mann Ernst (Philipp Mauritz), der Dramaturg ist. Dazu den Journalisten Bodo (Florian Schmidtke), das Model Maria (Zora Klostermann) – und Lise (Nina Gummich), die Tochter von Lottes Concierge. Lise wird ein gelbes Kleid, die Judas-Farbe, tragen und die in der Bildmitte sein: die Jugend mit den wässrigen blauen Augen, die die Zukunft verraten hat. Noch aber ist man leicht und fröhlich und freut sich darauf, zusammen auf einem Gemälde verewigt zu werden.

Szene für Szene zeigt ein Einspieler den Monat an, in dem wir uns befinden. Im November 1929 hat Ernst schon keinen Kopf mehr für die Sitzung: Immer mehr Braunhemden kommen zu ihm ins Theater. Wenn Philipp Mauritz als Ernst seine Kunstbetrachtungen ausführt, könnten das auch Kommentare zum Heute sein: „Komödie läuft antizyklisch. Wenn es den Leuten schlecht geht, wollen sie abschalten.“ Aber insgesamt wirkt die Aufgeregtheit, das Überzogene der Figuren geradezu wie die Antithese zur Stille des Gemäldes. Das liegt weniger im Text als in der Regie: Alle Figuren sind mit Ausrufezeichen versehen. Florian Schmidtke als schnittig-gefallsüchtiger Journalist Bodo sieht schon zu Anfang aus wie der Klischee-Nazi, zu dem er dann auch werden wird. Auch Marianna Linden sind die Zweifel ihrer Lotte, der jüdischen Künstlerin, die vergeblich versucht, sich das Politische vom Hals zu halten, übergroß in Gesicht und Haltung eingeschrieben. Der Grundkonflikt, für den Lotte steht – wie sollte die Kunst sich angesichts politischer Krisen verhalten? – ist im Text von Hübner/Nemitz wesentlich. Auf der Bühne ist davon wenig zu sehen. Nina Gummich ist schauspielerisch ganz bei ihrer Lise, diesem jungen Mädchen, das sich in einen SA-Mann verlieben und dessen Lektionen verinnerlichen wird. Selbstgerecht und verletzlich ist sie, störrisch und angriffslustig. Was wohl 1940 sein wird?, fragt sich die 19-jährige deutsch-nationale Lise einmal („Da bin ich schon fast 30.“). Die Antwort müssen wir uns selbst ausmalen. Sie lässt einen schaudern.

Zu Beginn war die Bühne selbst leer, der Blick frei für die Darsteller. Je mehr sich die wirtschaftliche Krise, das politische Klima zuspitzt, desto voller wird sie. Es werden Leinwände in die Bühne hinuntergelassen, die mal die Dachschrägen und Fenster von Lottes Atelier andeuten – und zwischendurch immer wieder als Hintergrund für Projektionen von fleißig recherchiertem Dokumentarmaterial der Wirtschaftskrise dienen. Großstadtbilder in Schwarz-Weiß: Autos und Bahnen, Menschenmassen, später Arbeitsuchende, Demonstranten, Marschierende. Das wirkt ein wenig schulbuchhaft – führt aber zu wohltuenden Momenten der Stille, die dem Stückrhythmus guttun. Wenn die Spieler nach Szenenende in einer Position verharren, einen Moment lang die Zeit anzuhalten scheinen, dann tun sich momentweise wieder die rätselhafte Größe und die Ratlosigkeit auf, die Lasersteins Gemälde ausmachen – und die diese Inszenierung, aber auch der Text selbst vermissen lassen. Wenn Lotte Laserstein im August 1930 vor ihrem fertigen Bild erklärt, sie sei „erschöpft von der Arbeit an einem Bild erschöpfter Menschen aus einem erschöpften Land“, dann ist das schön geschrieben, zeigt aber auch: Hier wird eindeutig zu viel geredet.

Ein ehrgeiziges, wichtiges Thema, ein fleißiges Stück. Bleibt die Frage: Was erzählt es uns eigentlich, das von Lotte Lasersteins Gemälde selbst nicht schon gesagt worden wäre? Lena Schneider

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