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Kultur: Visionen um Wieland Förster

Zum 75. Geburtstag des Bildhauers, der bereits so manche Spuren in Potsdam hinterließ

Zum 75. Geburtstag des Bildhauers, der bereits so manche Spuren in Potsdam hinterließ Von Andreas Hüneke Bei einem meiner Besuche zog Wieland Förster aus einer Kommodenschublade Franz Fühmanns Manuskript zu dem Buch „21 Tage oder die Hälfte des Lebens“ hervor, das der Schriftsteller ihm geschenkt hatte, und das mich zum nie enttäuschten Fühmann-Leser machte. Jetzt stelle ich überrascht fest, dass meine Bekanntschaft mit dem Bildhauer schon über die Hälfte meines Lebens ausmacht und fast die Hälfte des seinen. Wieland Förster vollendet heute, am 12. Februar, sein 75. Jahr. Sein „Kopf der Gelähmten“ von 1965 stand lange auf meinem Schreibtisch in der Galerie Moritzburg in Halle, wo ich die Sammlung der Plastiken betreute. Ich habe ihn oft und lange betrachtet und viel darüber nachgedacht. Er drückt Versehrtheit und Kraft aus, Entstellung und Schönheit, Resignation und Hoffnung. Er ist gebunden in die dunkle Schwere, aber das Gesicht wendet sich dem Licht zu. Die absolute Eiform wird nur von wenigen Elementen durchbrochen, und so denkt man bald an die berühmten Köpfe des Rumänen Constantin Brancusi. Aber Försters Werk ist davon soweit entfernt wie die Kunst Ernst Barlachs von der Wassily Kandinskys. Denn Barlach schrieb zu dessen Theorien über den Ausdruckswert der Formen und Farben, ihm fehle bei alldem das Mitempfinden und Mitleiden, ohne das für ihn Kunst bedeutungslos sei. In Försters gesamtem Werk, in all seinen Überlegungen zur Form steht immer dieses Mitempfinden und Mitleiden im Mittelpunkt. Das bedeutet nicht, dass ausschließlich das Leid – und vielleicht noch dessen Überwindung – sein Thema wäre. Zu meinen ersten Erwerbungen für das Hallenser Museum gehörte der übermütig kopfstehende und mit den Beinen strampelnde „Arkadische Akt“ von 1968, dem ich in einem weiteren Guss später in Potsdam in der Wohnung des Astrophysikers Rudolf Tschäpe wiederbegegnete. Auch die wohlig ihre Körperlichkeit genießende „Große Badende“ von 1971 kam in die Hallenser Sammlung. Doch bei der „Großen Neeberger Figur“, die ich bei etlichen Besuchen heranwachsen und sich ausformen sah, ist wieder Unterschiedliches enthalten: ein Verwurzeltsein, ein Festkrallen mit den übergroßen Füßen am Boden und ein Aufsteigen, ja Aufschießen bis in die hoch über den Kopf erhobenen Hände, die Schönheit eines Frauenkörpers und die Bedrohlichkeit einer Harpyie, Eros und Tod. Die Figur reichte in dem kleinen Atelier bis dicht unter die Decke, und der Bildhauer konnte von der Plastik, die er in einer Vision in weiter Landschaft hatte stehen sehen, kaum zwei Meter Abstand gewinnen. Doch solche Schwierigkeiten waren für Förster nur Herausforderungen zur Anspannung aller Kräfte. Kaum war die Figur fertig, stand sie 1974 in Potsdam auf dem Telegrafenberg vor dem großen Refraktor, unter dessen Kuppel Rudolf Tschäpe die erste große Personalausstellung Försters organisiert hatte. Die Eröffnung dieser beeindruckenden Schau, zu der Heinz Schönemann sprach, und zu deren nachhaltiger Wirkung neben der Überzeugungskraft der Kunstwerke auch der großartige Raum beitrug, führte auch mich nach Potsdam. Doch Tschäpe lernte ich erst sechs Jahre später kennen. Wir haben oft über Förster gesprochen, und er, der als Gründungsmitglied des „Neuen Forums“ wesentlich zum Untergang der DDR beitrug, nutzte die neuen Möglichkeiten, um Wieland Förster noch enger mit Potsdam in Verbindung zu bringen und seine Kunst für immer hier präsent zu halten. Mit Hilfe der Fördergemeinschaft Lindenstraße 54 und von breiten Kreisen getragenen Spendenaktionen wurden im Laufe der Jahre drei Plastiken Försters in Potsdam bzw. Wilhelmshorst aufgestellt. Die letzte – das Porträt Peter Huchels – konnte nur noch im Gedenken an Rudolf Tschäpe vor dem Haus des Dichters eingeweiht werden. 1999 traf man sich an der Glienicker Brücke zur Einweihung der „Nike ’89“, die Förster dem Gedenken an die Auflösung der „sozialistischen Diktaturen“ in Deutschland und den Ostblockstaaten widmete. Die Siegesgöttin als Torso soll daran erinnern, dass Siege nicht ohne Opfer zu erringen sind. Doch schon zuvor war 1995 im Hof des Potsdamer „Lindenhotels“, des Gebäudekomplexes Lindenstraße 54, der drei Regimen als politisches Gefängnis gedient hatte, Försters „Opfer“ als Mahnmal für die Opfer von Gewaltregimen errichtet worden. Der geschundene Körper mit einer brutal eingeschlagenen, den ganzen Leib durchschneidenden Kerbe ist gleichwohl kraftvoll-sinnlich. Denn nur dieser Kontrast zwischen der ursprünglichen Lebenskraft und der sie zerstörenden Gewalt reißt das Mitleiden aus der Unverbindlichkeit und macht es zum Aktivposten. Der Kopf der Figur erinnert bewusst an den der „Gelähmten“. Er ist weiter in den Nacken gelegt, fester mit der körperlichen Schwere verbunden, aber dafür richtet sich der Blick steiler und leidenschaftlicher zum Licht des freien Himmels, das nur aus dieser Richtung zwischen die Mauern des Hofes gelangt. Eine bessere Aufstellung hätte sich für die Figur kaum finden lassen. Förster arbeitet an einem Lebenswerk, dessen einzelne Teile ihre Vollkommenheit in sich habe, die aber durch die Bezüge untereinander noch eine höhere Stufe der Gültigkeit erreichen. Ab 3. April wird im Georg Kolbe Museum in Berlin eine Ausstellung gezeigt, die es erlaubt, dieses Beziehungsgeflecht zu verfolgen. Potsdam weckt in mir die Vision, dass hier zur würdigen Krönung der Verbindung zwischen der Stadt und dem Bildhauer Wieland Förster in fünf Jahren in der bis dahin verwirklichten Potsdamer Kunsthalle eine um neue Werke erweiterte Förster-Ausstellung in Anwesenheit des Jubilars eröffnet wird. Der Autor ist freiberuflicher Kunsthistoriker.

Andreas Hüneke

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