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Kultur: Verwirrspiel

Den Benckert-Figuren auf dem Knobelsdorffhaus ging Reiner Friebe in „Odyssee der Götter“ nach

Die Berliner National-Zeitung gab im August 1928 der Öffentlichkeit bekannt, dass man noch vor einigen Jahrzehnten in Potsdam auf historische Fassaden sehr geringen Wert legte. „Schadhaft gewordene Steinfiguren wurden von den Dachgesimsen einfach ,abgeräumt“. Eines Tages fiel eine der schönen Steinfiguren vom Dachgesims des Eckhauses Brauerstraße und Alter Markt herab (es lösten sich aber nur Teile einer Sandsteinfigur, d. Red.) und zerschlug einer nicht schlecht erschreckenden Marktfrau ihre Eierkiepe.“ Damit erinnerte das Abendblatt an ein Geschehen, das sich in der Nacht vom 23. zum 24. Juli 1897 ereignet hat und deren Auswirkungen bis 2000 anhielten.

Es ist eine „Odyssee der Götter“, die sich in diesen 103 Jahren abspielte. Unter diesem Titel ist dieser Tage in der Edition AB Fischer Berlin ein Buch erschienen, das von der Hermann Sudermann Stiftung herausgegeben wurde. Der Autor Reiner Friebe hat sich der Odyssee mit großer Akribie angenommen, viel Quellen gesichtet und die Geschichte, die sich als spannend erwies, unterhaltsam aufgeschrieben.

Nach dem „Unglück“ 1897 reagierte die Baupolizei und ließ die drei antiken Götter Vertumnus, Pomona und Flora, kostbare Sandsteinfiguren des friderizianischen Bildhauers Johann Peter Benckert, vom Dach des Knobelsdorffhauses (heute zum Alten Rathaus gehörend) herunterholen. Man wollte sie im Garten des Städtischen Krankenhauses aufstellen, doch die empörte Oberin lehnte ab: Sie könne nicht die Sittlichkeit ihrer Pflegebedürftigen gefährden. Und so verscherbelte man die Figuren an einen Trödler. Eines Tages kam er Besuch von dem berühmten Dichter Hermann Sudermann. Er sah die Figuren, erkannte ihren Wert und kaufte sie für 200 Reichsmark. Ab 1898 schmückten Pomona, Flora und Vertumnus des Dichters skulpturenreichen Park in Blankensee. Doch 1920 erinnerte man sich in Potsdam wieder an die wertvollen Plastiken. Der Magistrat schickte Abgesandte nach Blankensee mit dem Ziel, die drei Götter zurückzukaufen. Sudermann lehnte ab, jedoch ein Kopieren wäre möglich. Der Stadt fehlte dafür das Geld. Erst 1930 erhielt das Knobelsdorffhaus Muschelkalk-Kunstfiguren, die nach den Originalen in Blankensee geformt wurden. In der NS-Zeit prüfte man erneut, ob der Verkauf an Sudermann rechtens war. An dem Geschäft war nichts auszusetzen. Gern hätte man die Plastiken wieder in Potsdam gehabt. Für eine Rückgabe war Rolf Lauckner, der Stiefsohn und Erbe Sudermanns, nicht bereit, aber zu einem „möglichen Rückkauf bei Vorlage eines entsprechenden Angebots“. Oberbürgermeister Friedrichs schrieb bemerkte: „Sehr geschäftstüchtig. Man müsste vermuten, dass er Jude oder Halbjude ist“. Er stellte fest, dass der Verkauf ein Schildbürgerstreich gewesen sei.

Während des Bombenangriffs auf Potsdam am 14. April 1945 wurde auch das Knobelsdorffhaus stark in Mitleidenschaft gezogen. Doch die Götter-Kopien überlebten, wurden aber beschädigt. Man restaurierte sie bei den Sicherungsarbeiten des Gebäudes nicht. Nach 1961 setzte wieder eine Bewegung in Sachen Tausch ein. Nur musste man sich mit der Sudermann Stiftung in Gütersloh einigen. Sie stimmte einem „Handel“ zu. Die Kunststeinfiguren von 1930 gingen nach Blankensee, die Originale nach Potsdam. Vertumnus und Flora mussten wegen der Schäden restauriert werden. Der Pomona gab man dagegen keine Überlebenschance. Sie wurde vom Tausch ausgeschlossen. Der Bildhauer Horst Misch war für die Restaurierung der Figuren zuständig. Die Pomona ersetzte er durch eine Kopie. Dafür bekam Blankensee das Vertumnus-Original. Heute befinden sich auf dem Knobeldorffhaus also zwei Kopien und ein Original: die Blumengöttin Flora. Doch der originale Vertumnus hat ebenfalls seinen Weg von Blankensee nach Potsdam gefunden. Der Aufenthalt im ungeschützten Park hätte den restaurierten Gott nicht gut getan. Jetzt steht er in der Geschäftstelle der Brandenburgischen Schlösser GmbH. Klaus Büstrin

Reiner Friebe, Die Odyssee der Götter, Edition Ab Fischer, 12,80 Euro

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