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Kultur: Versuch und Spiel

4300 Zuschauer kamen zu Tanztagen der „fabrik“

So eine Vorstellung hatte wahrscheinlich noch keiner der Besucher erlebt. Zumindest nicht beim Tanz. Der Moskauer Künstler Alexander Andriyashkin brach sein Solo bereits nach wenigen Augenblicken ab und fragte das Publikum, was an seiner Performance fehle. Jemand sagte „Musik“ und kurz darauf bewegte sich der groß gewachsene, grau gekleidete Tänzer zu Musik. Aber auch jetzt schien er nicht zufrieden und ermunterte die Zuschauer noch mehrere Male, „Fehler“ seines Auftrittes zu benennen. Das ging so weit, dass eine Frau aus dem Publikum eine kurze Sequenz mit ihm gemeinsam tanzte, weil bis dahin die weibliche Hauptrolle fehlte.

Alexander Andriyashkins Performance „I will try“, die zum Abschluss der Tanztage am Samstagabend Deutschlandpremiere feierte, ließ anfangs Parallelen zum modernen Improvisationstheater vermuten, zielte aber in ihrer Absicht in eine völlig andere Richtung. Sie beleuchtete das Verhältnis Künstler und (Kunst-) Konsument kritisch. Bemühte sich Andriyashkin einerseits, die Bedürfnisse seines Publikums nach mehr Erotik, nach Sprüngen und mehr Licht zu befriedigen, verlangte er andererseits dafür menschliche Verbundenheit, ja Zuneigung. Beide Versuche schlugen fehl, sodass dem fordernden Hünen nichts anderes übrig blieb, als einsam seine Runden zu drehen. Dieses Bild prägte sich ein und machte einem als Zuschauer die eigene (Über-) Macht unangenehm bewusst. Umso überraschender war dann der letzte kurze Auftritt des Tänzers, in dem er seine eigene künstlerische Intention doch noch überzeugend verwirklichte. Diese Performance war in Zeiten von Mittelkürzungen ein entlarvender und hochpolitischer Akt!

Eine Viertelstunde später konnte man auf der großen Bühne der fabrik einen völlig anderen Versuch erleben. Fabrice Lambert, der im vergangenen Jahr mit seiner ungewöhnlichen Performance „Gravité“ bezauberte, „malte“ nach den grafischen Mustern im Wasser, jetzt unter 48 Scheinwerfern, mithilfe von zwei Tänzerinnen (Madeleine Fournier und Hanna Hedman) und drei Tänzern (Fabrice Lambert, Ivan Mathis und Stephen Thompson) grafische Muster in den von Philippe Gladieux kongenial beleuchteten Raum.

Mit „Solaire“ schuf Lambert ständig wechselnde Landschaften aus Körpern und Licht, die einen vor allem auch durch den Sound von Frédéric Laügt (Gitarre: Alexandre Meyer) in unbewusste Innenwelten entführen konnten. Diese hochästhetische und zuweilen meditative Vorführung puren Tanzes beeindruckte und provozierte jedoch im selben Moment, wenn man sich die Performance von Alexander Andriyashkin in Erinnerung rief, neben der das selbstvergessene Spiel Fabrice Lamberts weltentrückt und nahezu artifiziell wirkte.

4300 Zuschauer besuchten während der vergangenen elf Tage die mehr als 20 Vorstellungen in der Schinkelhalle, der fabrik, dem T-Werk und der Reithalle A. Die prägendsten Eindrücke hinterließ die Eröffnung mit den großartigen französischen Artisten von „Un loup pour l’ homme“, die die Zuschauer sowohl ins befreiende Lachen brachten als auch tief berührten.

Als überraschenden Akt kultureller Demokratie werden die zahlreichen Publikumsakteure die originären Potsdamer Aufführungen des „Frühlingsopfers“ des spanischen Choreografen Roger Bernat in Erinnerung behalten und der russischstämmige Choreograf Arkadi Zaides hat mit „Land Research“ tänzerisch überzeugend den Finger in die Wunde Israel gelegt. Die diesjährigen Tanztage wurden von weniger bekannten Compagnien aus acht verschiedenen Ländern Europas und Israel geprägt. Das war, wie auch die weniger großen und repräsentativen Säle, kein Verlust, sondern ermöglichte vielmehr eine angenehme Art von Intimität und die unaufgeregte Vorstellung von Compagnien, die sich noch im Wachstum befinden. So kann man durchaus gespannt sein, welche skurrilen Bühnenwelten beispielsweise die belgische bildende Künstlerin Miet Warlop in den kommenden Jahren erschaffen wird, die mit „Springville“ ihre faszinierend schrägen Typen zum ersten Mal abendfüllend präsentierte.

Astrid Priebs-Tröger

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