zum Hauptinhalt
Sie sind nützlich, oft lästig, immer aber fragil und schnell verschwunden. Schirme werden bei Jürgen Bürgin fast zur Chiffre für die moderne Großstadt.

© Jürgen Bürgin

"Urban Night" im Treffpunkt Freizeit Potsdam: Glanz des Molochs

Der Treffpunkt Freizeit ist ein lauschiger Ort – jetzt zeigt er atemlose Bilder von Jürgen Bürgin.

Potsdam - Ist sie Monster oder Mutter, Geliebte oder Gehasste? Seit den Expressionisten, seit Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ jagen Künstler das Wesen der Stadt. Das natürlich eines ist, das sich wandelt und verwandelt, ein endloses Spiel mit den Gesichtern. Das Bedrohliche, das haben die Metropolen in den vergangenen gut 120 Jahren irgendwie trotzdem verloren. Immer mehr Menschen zieht es in die Ballungsräume – oft aus Not, oft aus Sehnsucht, und – das ist ja klar – mit jedem Mal, mit dem ein Künstler ein Stück Stadtseele erlegt, es in Form und Zeit bannt, potenziert sich wieder ihr Mythos, wird sie wieder ein bisschen attraktiver.

Also ist es auch nicht überraschend, dass sich an einem heißen Abend im August, genauer am vergangenen Donnerstag, eine ganze Menge Menschen in den Treffpunkt Freizeit am Neuen Garten drängeln, ein Ort, der so wenig Metropole ist, wie es in einer Landeshauptstadt überhaupt geht. Aber schließlich gibt es hier den Rausch des Großen und Glamourösen zumindest vermittelt zu erleben. Der Berliner Fotograf Jürgen Bürgin stellt seine von Licht und Schatten glänzenden Fotos aus, der Titel „Urban Nights“ verspricht eher zu wenig als zu viel.

Die Städte sind schöner als in Wahrheit

Denn natürlich ist auch auf Bürgins Bildern die Stadt – hier sind es eigentlich viele, Berlin, Tokio, Shanghai – immer ein bisschen schöner als in Wahrheit, natürlich baut auch er mit am Mythos der Stadt. Weil sie auch bei ihm alles sein kann. Bewegung – oder Statik. Oder beides zugleich, wie auf dem Foto mit dem Mann, dessen kerzengerade Haltung ihn wie eine Verlängerung des Wolkenkratzers wirken lässt, dem er – ein bisschen wie ein einsamer Soldat – gegenübersteht. Der Betrachter sieht nur seinen Rücken, kann nur ahnen, warum er so bewegungslos verharrt, während ihm ein zweiter Mann mit Fliege und wehendem Mantel entgegeneilt.

Diese Eilenden, die finden sich bei Jürgen Bürgin immer wieder, auf einem anderen Bild ist es eine elegante ältere Frau, die – noch mit den Shopping-Tüten in der Hand – auf die Metropolitan Oper zurennt. Die Kunst wartet eben auf niemanden. Der Mann hinter ihr nestelt noch, den Schirm halb unter die Achsel geklemmt, am Kofferraum des Wagens herum. Schirme spielen in Jürgen Bürgins Städten überhaupt eine große Rolle, mal schützen sie ihre Träger, mal behindern sie sie, mal leuchten sie wie tröstliche kleine Inseln in Regennächten.

Keine Erlaubnis für Fotos

Der Schutz, das ist vielleicht das übergeordnete Thema bei Jürgen Bürgin. Einen kleinen Rest Hülle zwischen sich und den Abertausend Anderen wollen viele seiner Protagonisten. Das sind sie – mehr als Porträtierte, denn Jürgen Bürgin ist Streetphotographer, er inszeniert seine Bilder nicht, er fragt meist nicht um Erlaubnis, er drückt ab. Viele registrieren ihn nicht einmal, sagt er, mit anderen kommt er ins Gespräch. Ob das erlaubt ist? Erst Anfang des Jahres tobte ein Rechtsstreit zwischen Espen Eichhöfer, Fotograf der renommierten Agentur Ostkreuz und einer Berlinerin. Sie verklagte ihn, weil sie ihre Persönlichkeitsrechte verletzt sah. Eichhöfer argumentierte mit der Freiheit der Kunst. Manche sagten schon, der Rechtsstreit könnte bundesweit das Ende der Straßenfotografie bedeuten. Das sieht Jürgen Bürgin entspannt: Letztlich könnten Gerichte immer nur über einzelne Fälle entscheiden, sein Metier sieht er nicht bedroht.

Es wäre auch ein Jammer, denn seine Bilder – und das ist eben das Alleinstellungsmerkmal der Streetphotography – dokumentieren das Leben, wie es ist: Sie fangen einen vermeintlich winzigen, beliebigen Augenblick ein, der dann, eingefroren, doch eine große Geschichte erzählt. Dass seine Fotos dieses Filmszenenhafte haben, sei kein Zufall, sagt er. Fotografieren im eigentlichen Sinn habe er nie gelernt, alles habe er beim Filme gucken gelernt. Die vielen Reisen, auf denen der 1971 geborene Berliner fotografiert, hat er übrigens seiner Frau zu verdanken – die habe lange bei Lufthansa gearbeitet, sagt er und grinst. Wichtig sei beim Fotografieren vor allem eines: „Knipst das, was mit euch zu tun hat – die Leute auf meinen Bildern, die haben alle ähnliche Probleme wie ich – denen geht es nicht darum, wo sie ihr nächstes Abendessen herbekommen.“

Man will Teil seiner Bilder werden

Es stimmt. Die Menschen, die im Treffpunkt Freizeit jetzt von den Wänden gucken, sind denen nicht unähnlich, die sie anstarren. Auch wenn sie in Tokio leben oder in Saigon. Auch dort schützen sie ihre Köpfe beim Mopedfahren mit Helmen, eine ganze Horde ist es, vielleicht ist gerade Feierabend, Stoßverkehr, hinter den meist männlichen Fahrern sitzen die Mädchen, und wenn sie erst aus dem Gewühl raus sind, kann der Abend beginnen. Das Licht hier ist weich, dämmrig, es ist eines der wenigen Fotos mit Tageslicht hier in der Ausstellung.

Was die Stadt – überall auf der Welt – ja eigentlich ausmacht, was sie vom Kleinstädtischen und vom Land unterscheidet, ist die Nacht. Wenn weder gearbeitet noch geschlafen wird, dann schmiedet sie wieder ihren Mythos, die Metropole. Jürgen Bürgin ist ihr ein williger Handlanger, sofort will man eintauchen, Teil seiner Bilder werden.

Die Ausstellung „Urban Nights“ im Treffpunkt Freizeit, Am Neuen Garten 64, ist noch bis 2. Oktober immer montags bis freitags von 8 bis 21.30 Uhr zu sehen

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false