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Kara Kafa von Korhan Yurtsever Forum Berlinale 2023

© Korhan Yurtsever

Übersehen und vergessen: Filme mit (post-)migrantischen Perspektiven

Bereits zum dritten Mal bereichert die Reihe „Fiktionsbescheinigung“ die Berlinale. Zehn Filme hat das Kuratorenteam aus den Archiven geholt.

Von Till Kadritzke

Ein politisches Melodram: Der türkische Arbeiter Cafer, der an den German Dream glaubt und über gewerkschaftliche Organisierung nur die Nase rümpft, wird eines Besseren belehrt. Seine Frau Hacer, die er schwanger und mitsamt der zwei Kinder ins Ruhrgebiet geholt hat, lässt sich derweil in einer Frauengruppe politisieren und weiß bald besser Bescheid. Sohn Kerem streunt durch eine kalte Stadt, und muss erkennen, dass der Rassismus noch die unschuldigste Kinderfreundschaft zu zerstören vermag.

Korhan Yurtsever hat seinen Film „Kara Kafa” Ende der 1970er Jahre vorwiegend in Duisburg gedreht, gesehen hat ihn damals kaum jemand. Die türkische Zensurbehörde beschlagnahmte ihn, weil er das Ansehen des befreundeten Deutschlands beschmutze. Hierzulande war man an türkischen Perspektiven auf die Heimat ohnehin wenig interessiert.

Anders als in manch einem Vertreter des Neuen Deutschen Films sind die sogenannten Gastarbeiter hier keine Projektionsflächen oder passive Opfer, sondern handlungsmächtige Subjekte mit spezifischen Biografien und Haltungen.

Dass der politisch wie filmisch leidenschaftliche „Kara Kafa”, übersetzt “Schwarzkopf”, nun auf der Berlinale in einer frisch restaurierten Fassung zu sehen ist, ist einem Team von Kurator*innen zu verdanken, die bereits zum dritten Mal das Programm des Berlinale-Forums mit Filmen aus den Archiven bereichern.

Zehn Kurz- und Langfilme haben die in diesem Jahr Verantwortlichen Can Sungu und Jacqueline Nsiah für die Reihe „Fiktionsbescheinigung“ ausgesucht.

Der bekannteste hier vertretene Filmemacher dürfte der Iraner Sohrab Shahid Saless sein, in dessen „Ordnung“ (1980) der arbeitslose Herbert seinen bürgerlichen Alltag in Frage stellt und schließlich in einer Nervenklinik landet. Safi Fayes „Man sa yay“ (1980) folgt einem TU-Studenten aus dem Senegal durch den Berliner Alltag, strukturiert wird der Film durch Briefe aus der Heimat.

Die auch zum Fiktionsbescheinigungs-Team gehörende Karina Griffith hat zwei Filme der kenianischen DFFB-Absolventin Wanjiru Kinyanjui ausgegraben: Ihr ziemlich witziger, in Kenia gedrehter Abschlussfilm „Der Kampf um den heiligen Baum“ wird von ihrem Kurzfilm „A Lover & Killer of Colour” begleitet.

DDR, Oberlausitz und familiäre Spurensuche

Zwei besonders schöne Fundstücke zeigen Außenperspektiven auf das Leben in der DDR. Die damalige Filmstudentin Chetna Vora porträtiert in ihrem wundervollen Abschlussfilm „Oyoyo” (1980) das Leben in ihrem Wohnheim. Dort bilden unheimlich charmante und schlaue Studierende aus Guinea-Bissau, Kuba, Chile oder Bulgarien eine transnationale Community.

„Ein Herbst im Ländchen Bärwalde” (1983) dreht dagegen die üblichen Blickverhältnisse um: Hier porträtiert der aus Indien stammende Gautam Bora eine Bauernfamilie in der Oberlausitz.

Ein passendes dokumentarisches Begleitstück zu „Kara Kafa” ist schließlich der berührende „Mein Vater, der Gastarbeiter” (1995). Yüksel Yavuz begibt sich hier auf die Spuren seines Vaters, der 15 Jahre in einer Hamburger Werft gearbeitet hat, bevor er zurück in die Türkei wollte.

In der Schwebe

Was im Amtsdeutschen Fiktionsbescheinigung genannt wird, erhalten Menschen, über deren Antrag auf Niederlassung noch nicht entschieden wurde, deren Aufenthalt in Deutschland also in der Schwebe ist. Eine ähnlich prekäre Existenz erleben die hier versammelten Filme.

Gerade „Kara Kafa” ist ein gutes Beispiel dafür, wie viel Geschichte dieses Landes in filmischen Archiven steckt, die jedoch aufgrund engstirniger Bestimmungen nicht zum deutschen Filmerbe zählt. Die Digitalisierung dieser Filme wird deshalb kaum gefördert und die Werke drohen so für immer zu verschwinden.

Dabei sind es gerade solche marginalisierten Perspektiven, die deutsche (Film-)Geschichte nicht nur bereichern, sondern tradierte Vorstellungen davon, was damit eigentlich gemeint ist, fundamental in Frage stellen.

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