zum Hauptinhalt
Das Konzert sollte ursprünglich 2020 stattfinden.

© Markus Bertuzzo

Tocotronic-Konzert im Waschhaus: Soundtrack für das Ende des Sommers

Tocotronic boten einen musikalische Rundumschlag. Die Zuschauer erlebten einen Abend voller nölender, aber eingängiger Zeilen.

Potsdam - Es war lange erwartet, und auch eines dieser so oft verschobenen Konzerte. Diesmal fand es statt: Tocotronic spielten am Samstagabend zum Abschluss des Open-Air-Sommers im Waschhaus. Geplant war das Konzert 2020, als eines von zwei Open-Air-Spektakeln, eines in Hamburg und eines in Potsdam. 

Vor Corona. „The Berlin Years“ war die Hommage an die Hauptstadt betitelt, im Unterschied zur Setlist mit „The Hamburg Years“ im August: das Frühwerk von 1993 bis 2002, und das „Spätwerk“ als Berliner Phase von 2003 bis heute, also Songs, die in Berlin entstanden sind. 

Waschhaus ist nicht Woodstock 

Nun waren Tocotronic ja seit jeher im Lyrisch-Nachdenklichen verhaftet, doch mit dem letzten Album „Nie wieder Krieg“, das im Januar dieses Jahres erschien, zelebriert die Band eine melancholische Zerrissenheit, die auch in ihrer Historie unvergleichlich ist. Und zeigte sich fast schon hellseherisch: Konnte man den Albumtitel bei Erscheinung noch als hippieskes Statement interpretieren, bekam er recht bald eine schmerzhafte Aktualität – Krieg als Topos ist so präsent wie lange nicht. 

[Was ist los in Potsdam und Brandenburg? Die Potsdamer Neuesten Nachrichten informieren Sie direkt aus der Landeshauptstadt. Mit dem Newsletter Potsdam HEUTE sind Sie besonders nah dran. Hier geht's zur kostenlosen Bestellung.

Aber das Waschhaus ist nicht Woodstock, auch wenn das Konzert mit den Singer-Songwriterinnen Stella Sommer und Charlotte Brandi einen geradezu blumigen Auftakt verpasst bekam. Die beiden Musikerinnen spielten auf Wunsch der Band den Support, blieben aber an diesem Sommernachmittag erstaunlich blass und weitgehend unbeachtet. 

Das änderte sich jedoch deutlich, als Tocotronic die Bühne betraten: „Geht’s euch gut? Alle gesund?“ Aber ja! Es folgte – wie zu erwarten – der musikalische Rundumschlag mit Songs wie „Pure Vernunft darf niemals siegen“ oder „Kapitulation“, vorgetragen mit dieser näselnd-bräsigen inszenierten Langeweile, die immer hart an der Grenze zum Nervigen ist. 

Melancholie ist schön - in gewissen Dosen

Eigentlich könnte das Punk sein, jedoch zu Slow-Motion ausgebremst, wabernd, und immer betont lyrisch in denselben Vier-Viertel-Takt gepresst. Aber wie es einen doch mitzieht! Und immer wieder erstaunlich, wie sehr sich die Songs im Gedächtnis festgesetzt haben. Selbst das plakative „Jugend ohne Gott gegen Faschismus“, das wie ein erkaltetes Statement aufgedruckt auf T-Shirts allerorts getragen wurde, waberte sich ins Ohr und wollte nicht wieder hinaus. 

Das kann man mögen, muss man aber auch nicht. Am Ende lastet diese introvertierte Selbstzweifelei tonnenschwer, frisst und nölt sich in die Nacht hinein und überdeckt schließlich alles. Was einst als jugendliche musikalische Antithese zur ewigen guten Laune der 90er gut funktioniert hat, ist mittlerweile in Ehren ergraut und nicht mehr als eine Reminiszenz an vergangene Tage.  Aber so ist es mit der Melancholie. In gewissen Dosen ist sie schön und auch erwünscht, doch manchmal schnell zu viel des Guten. Als Soundtrack für das Ende des Sommers taugt sie jedoch allemal. 

Oliver Köhler

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false