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Yoshikawa (An Ogawa) lässt sich durch Ota Tatsunaris meditatives Regiedebüt „There is a Stone“ treiben.

© Fugu Filmverleih

„There is a Stone“ im Kino: Anleitung zum Müßiggang

Was ist interessant, schön, nützlich? Der japanische Regisseur Ota Tatsunari findet in seinem Filmgedicht „There is a Stone“ faszinierende Antworten auf vermeintlich triviale Fragen.

Schmale Steine mit glatter, abgerundeter Oberfläche, die sich zwischen Zeigefinger und Daumen greifen lassen, eignen sich besonders gut dafür, sie auf dem Wasser springen zu lassen. Beim Werfen sollte man in die Knie gehen und die Steine mit Drall und geringem Höhenunterschied zur Wasseroberfläche auf den Weg schicken – sonst sinken sie nach einem oder zwei Hüpfern ab.

Das ist Kindheitswissen, aber über solche Details des Steineflitschens tauschen sich in „There Is a Stone“ Yoshikawa (An Ogawa) und Doi (Tsuchi Kano) aus, die sich an einem Fluss begegnen. Genau genommen steht er zunächst am anderen Ufer, winkt, watet quer durch den Fluss und fragt dann in nassen Klamotten auf der anderen Seite: „Haben Sie etwas gesagt?“ Und sie, wahrheitsgemäß: „Nein.“

Im Forum der Berlinale, wo Ota Tatsunaris Film dieses Jahr lief, sorgte die Szene für laute Lacher. Vielleicht deshalb, weil „There Is a Stone“ gerade nicht auf den komischen Effekt hin inszeniert ist, sondern dieser Moment so beiläufig daherkommt wie die ganze Inszenierung: Begegnungen und Abschiede, Spiel und Ernst, Bewegung und Stillstand.

Die junge Frau aus Tokio ist unterwegs in einer anderen Stadt. Eigentlich, so drückt sie es selbst aus, sei sie zum Arbeiten dort – aber arbeiten sieht man sie nicht. Stattdessen wandert sie umher, lässt sich treiben. Zu Beginn trifft sie auf einen älteren Mann und stellt ihm eine Frage: „Gibt es hier irgendetwas zu sehen, etwas Interessantes?“ Ähnlich wie an diesem Ort auf einem Berg über der Stadt, wo einst eine Burg gewesen sein soll, nichts zu sehen ist, passiert auch in diesem Film auf einer konventionell-narrativen Ebene nicht viel.

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Der Großteil der Handlung spielt am Fluss, wo die Protagonistin erst mit ein paar Kindern kickt und anschließend auf Doi trifft. Eine Begegnung, die sich im intuitiven Spiel miteinander ausdrückt: Sie lassen die Steine hüpfen, rutschen einen sandigen Hang hinunter, balancieren mit zwei Stöcken einen dritten, stapeln Steine aufeinander. In der Dämmerung suchen sie einen Kiesel, den sie im Flussbett verloren haben. „Ihren Namen habe ich leider nicht verstanden“, wird der Mann später lakonisch in sein Tagebuch notieren.

Jeder Schnitt schärft die Sinne

Das Wunderbare an „There Is a Stone“ ist, dass es Ota mit seiner minimalistischen Erzählweise und Inszenierung gelingt, normative Kategorien unserer Wahrnehmung zu verschieben. Was ist interessant, schön, nützlich? Die wenigen Informationen zu den Charakteren, die reduzierten Dialoge, all das ist sehr bewusst gesetzt: Motivationen und Ziele lassen sich nicht entschlüsseln, und so ist der Zugang zu diesem Film, ihn als Anleitung zum Müßiggang zu verstehen und sich wie die Figuren auf den flüchtigen Augenblick einzulassen.

Nach den langen Einstellungen schärfen jeder Schwenk der Kamera und jeder Schnitt die Sinne: für den Sand auf den Turnschuhen, für die Textur der Steine, und dafür, dass die Umgebung hier eben kein Naturidyll ist, sondern im Hintergrund Autos auf einer Schnellstraße vorbeifahren.  

Ota selbst sagt, dass ihm die Inspiration für „There Is a Stone“ an einem exakt so verlebten Nachmittag am Fluss kam. „Warum haben wir so viel Zeit darauf verwendet, Steine aufzusammeln und zu untersuchen? Warum habe ich mich für diesen Stein entschieden und nicht für jenen? Das sind überaus triviale Fragen, doch ich hatte das Gefühl, sie nicht ignorieren zu dürfen.“

Es ist möglich, diese Gedanken mit fernöstlicher Philosophie zu assoziieren, etwa mit dem taoistischen Konzept des Wuwei, das sich am besten als „Handeln durch Nicht-Handeln“ übersetzen lässt; oder den Anti-Lehren des Zen. Um Otas Film zu schätzen, braucht es die Theorie aber nicht. Gibt es hier also etwas zu sehen, etwas Interessantes? Allerdings. Steine und Menschen und die Freiheit, die im Nichtstun liegt.

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