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Kultur: Stumm und stark

Die moderne Frau im Kino der Zwanzigerjahre ist das Thema der kommenden Berlinale-Retrospektive „City Girls – Frauenbilder im Stummfilm“. Zur Einstimmung empfiehlt sich ein Besuch im Babylon Mitte, das einen Film mit Clara Bow zeigt – sie galt damals als Inbegriff des vorfeministisch selbstbewussten „Flappers“ und als derbere Ausgabe von Louise Brooks.

Die moderne Frau im Kino der Zwanzigerjahre ist das Thema der kommenden Berlinale-Retrospektive „City Girls – Frauenbilder im Stummfilm“. Zur Einstimmung empfiehlt sich ein Besuch im Babylon Mitte, das einen Film mit Clara Bow zeigt – sie galt damals als Inbegriff des vorfeministisch selbstbewussten „Flappers“ und als derbere Ausgabe von Louise Brooks. An der Kinokasse war Bow die Stärkere. Die Paramount lockte mit eindeutigen Titeln wie „Hula“, „Hoopla“ oder „The Wild Party“. Im Rahmen des 9. Festivals für Stummfilm und Musik ist am Mittwoch Victor Flemings Mantrap (1928) zu sehen, in dem Bow, gelangweilt von ihrem Ehemann, Ausschau nach einem flotteren Begleiter hält. Nobelpreisträger Sinclair Lewis wurde fürs Drehbuch verpflichtet, wobei das Publikum auf solche Qualitäten nicht achtete. Was zählte, war die unbändige Energie und unermüdliche Feierlaune der kindlich-amoralischen Hauptdarstellerin.

Am meisten Aufsehen erregte in den Zwanzigerjahren ausgerechnet eine Frau, deren Rollentypus schon damals veraltet schien, und die statt Bubikopf Korkenzieherlocken trug: Greta Garbo verkörperte den Vamp wider Willen, die tragische Sünderin. In ihrem zweiten Hollywoodfilm Dämon Weib (Dienstag im Babylon Mitte) war die kühle Schwedin als feurige Latina fehlbesetzt, aber von allen autonomen Stars der autonomste. Was immer das Drehbuch ihr an Absurditäten zumutete, sie selbst strahlte Würde aus.

Ein paar Schauspielerinnen gelang es, den modernen Frauentypus in den Film der NS-Zeit hinüberzuretten. Allen voran Lil Dagover: Sie spielte noch mit über 50 sexuell anziehende Frauen, die neue Partner finden. In der Ufa-Produktion Das Mädchen Irene (1936) ist sie eine verwitwete Modedesignerin, die sich zum Entsetzen ihrer erwachsenen Töchter in einen jüngeren Mann verliebt (Mittwoch in den Eva-Lichtspielen). Regisseur Reinhold Schünzel durfte als „Nicht-Arier“ nur mit einer Sondergenehmigung arbeiten und hat lange versucht, den liberalen Geist der Weimarer Republik am Leben zu halten. Eine Konzession ließ sich nicht vermeiden: Lil Dagover heißt in ihrer Rolle Jennifer Lawrence, ihre moderne Frau war für die NS-Zensur nur akzeptabel, weil sie im Ausland lebte.

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