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Kultur: Strahlende Helden: Fehlanzeige

„Mad King Cool“ und die Ritter des Offenen Kunstvereins in der Russenhalle

Echte, rostrot eingefärbte Tannenbäume hängen am Theatereingang kopfüber von der Decke. Ein Schloss aus dunkelroten Sperrholzwänden verdeckt kaum das nackte Mauerwerk und eine übermannshohe Plastik aus Fahrradrahmen, Schutzblechen, Sätteln, Lenkern und Rückstrahlern in der Metallkunst Rainer Fürstenbergs verkörpert den heiligen Gral. Am Donnerstagabend hatte die Parzival-Adaption des Offenen Kunstvereins „Mad King Cool“ in der Russenhalle Premiere. Diese platzte aus allen Nähten und Regisseurin Ulrike Schlue, die gemeinsam mit Nikki Bernstein das Spiel leitete, suchte selbst noch lautstark nach Plätzen für die vielen Kunstverein-Theateranhänger, denn diesmal war eine Vorstellung der Superlative angekündigt: 48 Kinder und Jugendliche und dazu 15 Sänger und Musiker auf der Bühne, die mehr als die Hälfte der Halle einnahm.

Die Akteure aus allen Gruppen des seit Jahren überaus aktiven Vereins beschäftigten sich ein Jahr lang mit der 800-jährigen Vorlage Wolfram von Eschenbachs und näherten sich ihr auf ganz eigene Weise – wie immer sehr kreativ, wenig respektvoll und ziemlich „verrückt“.

Ihr Parzival sucht keinen Gral. Er will hauptsächlich „weg von Muttern“ und so eine schöne Rüstung haben, wie er sie bei den fremden Rittern gesehen hat. In kaum einer Situation, die ihm begegnet, kann er sich entscheiden, weiß er, was er will. Einzig die Aussicht auf ein tägliches warmes Mittagessen lässt ihn einmal fast euphorisch werden. Ansonsten stolpert er ziemlich unverfroren von Abenteuer zu Abenteuer und kommt einigermaßen ungeschoren davon. Mad King Cool eben.

Und genauso wie ihm geht es seinem Freund Gawan, der nur eines im Kopf hat, nämlich „seine blöden Weiber“. Beide lassen sich nicht von irgendwelchen Heilsversprechen locken, vom Reichtum blenden oder von Hexen und Zauberern umgarnen. Sie haben vor nichts und niemandem Angst oder gar Respekt. Vor alten vergesslichen Königen – wunderbar die König-Artus-Parodie auf einen senilen Schwerenöter – schon gar nicht. Die einzigen, die ihn dauerhaft begleiten, sind seine Freunde aus der Kinderzeit, getötete Rehe als Flügelwesen. Sie säen Zweifel, z.B. ob es richtig ist, wegen einer Rüstung zu töten oder den Gralskönig Anfortas nicht doch nach seinem Leiden zu fragen ...

Die 15 sehr kurzweiligen und amüsanten Szenen, die durch eigens komponierte Musik (Andy Schulte und Arne Assmann) und durch klangvollen mehrstimmigen Chorgesang von mittelalterlichen französischen, spanischen und italienischen Liedern mehr als zusammengehalten wurden, orientierten sich am Epos, integrierten aber auch viele Ideen der Mitspieler. Wunderbare Spielideen waren das wörtlich genommene „Einwickeln“ der Jeschute, der „Bechertanz“ der Artus-Ritter oder die Massenhochzeit á la „Herzblatt“. Alle jungen Akteure waren sehr spielfreudig und zeigten großen körperlichen Einsatz, sei es nun bei den „Drahtesel-Turnieren“ und anderen Scheingefechten, bei den Pilger-Szenen oder der „Monsterköchin“ und ihrem Gemetzel.

Alles kam leichtfüßig und ironisch daher, lebte sowohl von der Über- als auch der Untertreibung, von Pathos keine Spur. Nach 90 Minuten stürmischer Beifall und Rosenwürfe vom Zuschauerpodest.

Zum Parzival-Projekt gibt es noch die Ausstellung „Himmelreich und Fegefeuer“ zu sehen, die am 18. November im neuen KunstWERK, in der Herrmann-Elflein-Str. 10 eröffnet wird und die noch eine weitere Dimension zum „Gesamtkunstwerk“ beisteuern kann.

Astrid Priebs-Tröger

Weitere Vorstellungen heute um 20 Uhr und Sonntag um 16 Uhr.

Astrid Priebs-Tröger

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