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Mutter Lissy (Corinna Harfouch) und Sohn Tom (Lars Eidinger) reden Tacheles.

© Jakub Bejnarowicz / Port au Prince/Schwarzweiss Film/Senator

„Sterben“ auf der Berlinale: Das menschliche Rabenmonster

Matthias Glasner kehrt nach zwölf Jahren in den Wettbewerb zurück. Sein Drama „Sterben“ verhandelt die ganz existenziellen Dinge: Leben, Tod, Rausch, Depression, Kunst.

Von Andreas Busche

Solche Kinder möchte man nicht geschenkt haben. Sohn Tom kann zwar eine Karriere als Dirigent (wenn auch nur eines Jugendorchesters) vorweisen, ist zwischenmenschlich aber ein Totalausfall. Mitgefühl ist ihm fremd; wenn seine Mutter anruft, hat er eine Panikattacke. Und das Baby, das er mit seiner Ex-Freundin großzieht, ist auch nicht von ihm – gut für die Kleine. Seine Schwester Ellie, das Lieblingskind und Nesthäkchen, ist ebenfalls ein wohlstandsverwahrlostes Elend, neurotisch und alkoholkrank. Zu viel Mutterliebe kann eben genauso kaputt machen.

Diese Mutter ist allerdings auch kein Geschenk, eine kalte Person ohne Empathie, die ihrem Sohn ein Leben lang unter die Nase gerieben hat, dass er ein „Unfall“ war. Als einzig nettes Mitglied der Familie Lunies geht Papa Gerd durch; der aber leidet dummerweise an Demenz und steht morgens manchmal ohne Unterhose in der Nachbarswohnung.

Die Titelmusik von „Sterben“ lässt unwillkürlich an eine betuliche Familienkomödie denken, was der emotionale Intensivtäter Matthias Glasner aber gleich mal mit dem Titel seines Films konterkariert. „Sterben“ will ans ganz Existenzielle: Leben, Tod, Rausch, Depression, Kunst als Lebenselixier.

Die Intervalle, in denen Glasner für das Kino inszeniert, wecken jedes Mal automatisch die Hoffnung auf einen großen Wurf. Vor zwölf Jahren lief „Gnade“ im Wettbewerb, in der Zwischenzeit hat er viel fürs Fernsehen gearbeitet („Blochin“, „Das Boot“). „Sterben“ fungiert sozusagen als Gegenentwurf zum psychologisch dichten Vorgänger: ein ausschweifendes Ensembledrama mit Lars Eidinger, Lilith Stangenberg, Corinna Harfouch, Robert Gwisdek, Ronald Zehrfeld und Saskia Rosendahl, dramaturgisch und im Tonfall all over the place.

Wohlstandsverwahrlost. Ellie (Lilith Stangenberg) sucht den Rausch.

© Jakub Bejnarowicz / Port au Prince, Schwarzweiss, Senator

Eidinger und Stangenberg spielen die beiden Geschwister, sozusagen Volksbühnen- gegen Schaubühnen-Schule: entgegengesetzte Intensitäten, passend für das hochtourige Emo-Kino Glasners. Und Harfouch scheint in der Rolle von Lissy – nach Jan-Ole Gersters „Lara“ – Gefallen am Typus der Eismutter gefunden zu haben. Jedes Kapitel in „Sterben“ – das erste ist Lissy Lunies gewidmet – hat einen anderen Aggregatzustand. Das von Eidinger ist hart und kalt wie Stein, das von Ellie dagegen feucht-unglücklich.

Die Zahnarzthelferin stürzt sich in eine volatile, rauschhafte und destruktive Affäre mit einem verheirateten Arzt (Ronald Zehrfeld). Aber von wem sollen die Kinder auch gelernt haben, wie Leben geht? Das Melodram fliegt Glasners fast dreistündigem Film immer wieder um die Ohren, es drängt aber auch aus den Körpern seiner Figuren. Gleich in der ersten Szene sitzt die todkranke Lissy vollgekackt im Flur ihrer Wohnung, bei Toms großer Premiere in der Philharmonie hat Ellie einen veritablen Husten- und Kotzanfall.

Die hässlichen Dinge werden ausgesprochen

Die Auseinandersetzung mit dem Tod vollzieht sich dann trotzdem – obwohl Glasner hier eine sehr persönliche Geschichte erzählt – erstaunlich en passant. „Sterben“ lautet vor allem der Titel der neuen Komposition von Toms bestem (und depressivem) Freund Bernard, gespielt von Robert Gwisdek. Der verzweifelt an seiner künstlerischen Unzulänglichkeit; es hilft auch nicht, dass sein Ensemble das Stück nicht kapiert. Die hässlichen, unbequemen Dinge werden in „Sterben“ stets ausgesprochen, direkt ins Gesicht: So funktioniert Katharsis. Insofern ist an Glasner vielleicht sogar ein guter Theatermann verloren gegangen. Im Kino mangelt es ihm an Subtilität.

Die beiden besten Szenen gehören natürlich Eidinger – einmal mit Harfouch, einmal mit Gwisdek. Da spürt man, welches Potenzial in „Sterben“ steckt: wenn Glasner brutal-ehrlich ist, ohne gleich ins Pathos (oder in krude Komik) zu rutschen. Als Lissy gegenüber Tom ihren letzten Wunsch äußert und beide Seiten sich noch einmal klarmachen, dass sie eigentlich keinerlei Sympathien füreinander hegen, geht es an die Substanz. Plötzlich erscheint sogar Harfouchs Rabenmutter für einen Moment menschlich.

Und am Weihnachtsabend trägt Bernard einen Wunsch an Tom heran, der den Freund vor ein moralisches Dilemma stellt. Ihr Gespräch wirkt fast wie ein Monolog, den Eidinger – entgegen seinem Naturell – mit einem Minimum an Gestus pariert. Der Tod ist nicht nur unausweichlich, sondern manchmal auch eine verdammt einsame Entscheidung. Na dann, frohes Fest!

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