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Reichsmarschall Hermann Göring (helle Uniform) und Martin Bormann (l.), begutachten die Zerstörung in der Karten-Baracke im Führerhauptquartier Rastenburg am 20. Juli 1944.

© dpa/Hoffmann

Stauffenbergs Attentat auf Hitler: Ruth Hoffmann untersucht den Kampf um einen deutschen Mythos

Im Streit um den 20. Juli 1944 zeigt sich, wie sehr sich die Perspektiven im Lauf der Jahrzehnte verändert haben – bis hin zum rechtspopulistischen Anspruch auf die konservativen Revolutionäre.

Am 31. Dezember 1949 verabschiedete der 1. Deutsche Bundestag das „Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit“. Durch dieses Amnestiegeschenk konnten sich mehrere zehntausend NS-Täter „nun als rehabilitiert betrachten“, schreibt die Autorin und Journalistin Ruth Hoffmann in ihrem ausgezeichnet recherchierten Buch „Das deutsche Alibi. Mythos ‚Stauffenberg-Attentat‘ – Wie der 20. Juli 1944 verklärt und politisch instrumentalisiert wird“.

Mit der Bewertung des Widerstands gegen Hitlerdeutschland tat sich die frühe Bundesrepublik hingegen schwer. Dass die Verfolgung nationalsozialistischer Verbrechen sehr zurückhaltend angegangen, um nicht zu sagen sabotiert wurde und ehemalige Nazis schon kurz nach Kriegsende entlastet und ins neue System eingebunden waren, verwundert nicht. Es gab einen neuen Feind, dem man sich mit bewährten Kräften entgegenstemmen musste – den Kommunismus.

Eine allzu starke Beschäftigung mit den zahlreichen Tätern und Mitläufern hätte zudem die unangenehme Erkenntnis mit sich bringen können, dass es eben doch nicht nur eine kleine Clique verbrecherischer Verführer war, die da zwischen 1933 und 1945 Deutschland im Würgegriff hatte. Und dann war da noch der unliebsame Widerstand: Hatten die Elsers, Scholls oder Stauffenbergs nicht gezeigt, dass Unrecht zu erkennen und zu bekämpfen gewesen wäre?

Ruth Hoffmann schildert die zwiespältige Auseinandersetzung mit diesen „Landesverrätern“ – so wurden die Widerständler lange begriffen, nicht zuletzt deshalb, weil an den Gerichten, in der Politik, in öffentlichen Institutionen ehemalige Nationalsozialisten in Schlüsselpositionen saßen. Es dauerte sogar ziemlich lange, bis das Attentat vom 20. Juli 1944 – heute Anlass für stolze Sonntagsreden – als legitimes Aufbegehren gegen ein Unrechtsregime gewertet wurde.

Bis in die 50er Jahre hinein „standen mit wenigen Ausnahmen also nicht die Verfolger und Henker am Pranger, sondern ihre Opfer. Während für die einen Pensionen gezahlt, Rechtsbeistand geleistet und Ehrenerklärungen abgegeben wurden, waren die anderen weiterhin Verleumdungen ausgesetzt – und die Regierung ließ es geschehen.“

Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus war ein „Stachel im Fleisch der deutschen Nachkriegsgesellschaft“. Die Unfähigkeit zu trauern verband sich mit dem Unwillen, Scham angesichts der begangenen Verbrechen zu empfinden. Der Wiederaufbau erforderte alle Kräfte. Für Gesten der Wiedergutmachung blieb da weder Zeit noch hätten sie zum neuen Selbstverständnis der Bundesrepublik gepasst.

Nur langsam änderte sich daran etwas. Die Helden des 20. Juli hätten den Versuch unternommen, „den Staat der mörderischen Bosheit zu entreißen“, sagte Theodor Heuss zum zehnjährigen Jubiläum des Attentats; dem „verführten“ Volk erteilte aber auch er die Absolution.

Angesichts der vorangegangenen Scheuklappenmentalität war Heuss‘ Bekenntnis jedoch schon ein Fortschritt: Konservativen Kreisen fiel es zwar nicht leicht, den Widerstand zu würdigen; aber mit den Offizieren rund um Stauffenberg konnten sie einigermaßen leben. Immerhin ließ sich deren Haltung gut in ein bürgerliches Narrativ von deutschem Geist und patriotischer Gesinnung integrieren.

Auch die SPD verschwieg die eigene Beteiligung

Anders stand es mit Kommunisten, die als erste gegen Hitler aufbegehrten und zu dessen ersten Opfern zählten; oder gar mit dem einfachen Handwerker Georg Elser, der als Einzeltäter seinem Gewissen gehorchte und den Krieg voraussah, den die Wehrmachtsgeneräle unter den Verschwörern dann lange Zeit mittrugen.

Auch dass Sozialdemokraten in die Vorbereitungen zum 20. Juli eng eingebunden waren, sollte im offiziellen Erinnern keine große Rolle spielen – selbst die SPD zeigte kein Interesse, darauf hinzuweisen. Man fürchtete zu sehr, der DDR-Agenda damit in die Hände zu spielen.

Wie um die Deutung dieses Ereignisses und des Widerstands insgesamt gerungen wurde, wie die Beurteilung auch den Kalten Krieg zwischen West- und Ostdeutschland bestimmte, wie die Hinterbliebenen der Widerständler ihre je eigenen Kämpfe gegen das Vergessen oder das richtige Gedenken führten – das zeigt Hoffmann penibel genau auf.

Sobald ich mein Büro verlasse, befinde ich mich im feindlichen Ausland.

Fritz Bauer, hessischer Generalstaatsanwalt von 1956 bis 1968

Die Kultur des Erinnerns bettet sie in die jeweiligen politischen Kontexte ein, würdigt einzelne Protagonisten wie den hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer, der sehr einsam gegen das Vergessen kämpfte und sein Lebensgefühl in der frühen Bundesrepublik so beschrieb: „Sobald ich mein Büro verlasse, befinde ich mich im feindlichen Ausland.“ Hoffmann schildert nicht nur kenntnisreich die Genese des Attentats vom 20. Juli und die gescheiterten früheren Versuche zum Tyrannenmord; sie verfolgt auch die Geschichte und Haltungen der Beteiligten zurück zu den Anfängen des Dritten Reiches. Zwar stehen die Verschwörer des Bendlerblocks im Zentrum ihres lehrreichen Buches – so wie sie auch heute noch im Zentrum des offiziellen Gedenkens stehen.

Aber sie kontrastiert diese immer wieder mit dem linken Widerstand, der selbst in der (sozial)demokratischen Aufbruchsphase der 1970er Jahre kaum angemessen gewürdigt wurde. „Über die Jahre verfestigte sich so das immer gleiche Muster: Widerstand, das war der 20. Juli 1944. (…) und von einer Schuld der Deutschen war praktisch nie die Rede.“

In den 1980er Jahre kam es mit der „geistig-moralischen Wende“ sogar zu einer erinnerungspolitischen Rolle rückwärts, und selbst nach dem Fall der Mauer änderte sich nicht viel – die Instrumentalisierung des 20. Juli für konservative Zwecke setzte sich fort, der militärische Zweig der Verschwörung wurde überhöht, bis hin zu Tom Cruises Blockbuster-Film „Operation Walküre“, in dem er Graf von Stauffenberg als Superhelden inszenierte.

Dass der zivile Teil des 20. Juli und das politisch höchst heterogene Netzwerk der Verschwörer bis heute unterbelichtet bleiben und inzwischen die AfD und die Neue Rechte das Datum ungeniert für sich reklamieren, scheint nach Hoffmanns Ausführungen fast folgerichtig: Über Jahrzehnte wurde versäumt, historische Erkenntnisse jenseits ideologischer Ambitionen in die offizielle Erinnerungsrhetorik einzubringen. Das ist das große Verdienst von Ruth Hoffmanns dazu noch exzellent geschriebener Studie.

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