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„Spiegel“-Redakteur las in Potsdam: Bekloppt, betreut, bevormundet

Für wie dumm hält man uns eigentlich? Nichts traut man uns mehr zu: „Kleidung nicht am Körper bügeln“, warnt inzwischen schon ein Bügeleisenhersteller.

Für wie dumm hält man uns eigentlich? Nichts traut man uns mehr zu: „Kleidung nicht am Körper bügeln“, warnt inzwischen schon ein Bügeleisenhersteller. Schließlich könnten wir ja in diesen immer hektischer werdenden Zeiten versucht sein, uns das Hemd oder die Bluse überzustreifen und dann flugs mit dem Bügeleisen noch den Kragen zu glätten. Klar, das wäre ziemlich schmerzhaft. Doch diese Erkenntnis muss uns jetzt nicht mehr von selbst kommen, wenn wir ein solches Warnschild sehen. Merke: Nur lesen sollte man noch können. Sonst nützt uns nämlich auch das Schild nichts.

Über diese und andere Kuriositäten berichtete am Dienstagabend der „Spiegel“-Redakteur Alexander Neubacher in der Stadt- und Landesbibliothek bei der Vorstellung seines Buches „Total beschränkt – Wie uns der Staat mit immer neuen Vorschriften das Denken abgewöhnt“. Die Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit hatte in Kooperation mit der Bibliothek und der Karl-Hamann-Stiftung zu diesem Abend eingeladen. Etwa 50 Zuhörer waren zu dieser wortreichen Kuriositätenschau gekommen, bei der Neubacher in Wort und Bild vom ganz alltäglichen Wahnsinn berichtete.

Neubacher zeigte ein Foto, auf dem eine Treppe zu sehen war. An jeder Stufe stand, sicherheitshalber: „Vorsicht Stufe!“ Merke also wieder: Man muss unbedingt lesen können – sonst drohen Gefahren. Auf einer Verpackung von Schnittblumen fand sich hingegen der Hinweis: „Nur für Dekozwecke – zum Verzehr nicht geeignet“. Und wer als Fußgänger in Düsseldorf unterwegs ist, der hat es richtig gut – vorausgesetzt er kann lesen. Denn in der Landeshauptstadt von Nordrhein-Westfalen, so berichtete Neubacher, gibt es einen achtseitigen Leitfaden für Fußgänger. Darin finde sich unter anderem dieser Hinweis: „Die Ampel springt auf Grün. Der ideale Zeitpunkt für alle Fußgänger, jetzt loszugehen!“ Tja, nichts ist heute offenbar mehr selbstverständlich.

Ein Hamburger Fischhändler sah sich zu folgendem Warnschild gezwungen: „Wir müssen Sie darauf hinweisen, dass im Fisch Gräten vorkommen können“. Nun könnte man auch wieder sagen: Für wie dumm hält der Händler uns Verbraucher eigentlich? Doch der Hintergrund ist nicht zum Lachen: Der Fischladen sah sich – in Zeiten, als er noch nicht das Schild aufgestellt hatte – einem Rechtsstreit ausgesetzt, weil einem Kunden eine Gräte im Hals stecken geblieben war!

Wir Verbraucher dürfen wohl annehmen, dass uns die Wirtschaft eigentlich nicht für völlig bekloppt hält. Ganz im Gegenteil: Man hat – wie der Fischhändler – vermutlich einfach nur Angst vor richtig dreisten Haftungsklagen. Und spätestens da kommt der Staat ins Spiel, der dies durch seine Gesetze ermöglicht.

Der Bürger soll geschützt werden, insbesondere vor sich selbst und seiner nie völlig auszuschließenden Dummheit. So gibt es immer neue Vorschriften. Aus dem homo sapiens werde schleichend ein homo demenz, sagt Neubacher und versteht sein Buch auch als Plädoyer gegen einen Vater Staat, der zur Übermutter mutiert ist. „Der Bürger gilt als betreuungsbedürftig.“ Bei Montesquieu las sich das noch anders: „Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen.“

Holger Catenhusen

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