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Will etwas von der Welt erleben: Die 14-jährige Margaux (Clarisse Moussa) erkundet mit aufgeschlossenem Blick ihre Mitmenschen.

© Mindjazz Pictures

„Sehnsucht nach der Welt“ im Kino: Teenagergefühle, zu groß für einen Sommer

In Jenna Hasses Debütfilm „Sehnsucht nach der Welt“ ertastet eine 14-Jährige, wie sich das Leben anfühlen könnte. Ein stiller Coming-of-Age-Film ohne Drama.

Von Katharina Böhm

Der Sommer ist eine brenzlige Angelegenheit. Große Erwartungen soll er erfüllen, möglichst alles, was im restlichen Jahr versäumt und vermisst wird, aufwiegen. Idealerweise innerhalb von 14 Tagen. Und natürlich ohne Brände, Starkregen, Wahnsinnshitze.

Im Teenageralter können die „großen Ferien“ noch endlos lang nachwirken. So wird es auch Margaux (Clarisse Moussa) ergehen. Sie ist „fast 15“ und soll den Sommer bei ihrem Vater am Genfer See verbringen, Praktikum im Kinderheim inklusive. Während der Vater mit Job und neuer Freundin voll beschäftigt zu sein scheint, lässt sich Margaux mit einer Haltung aus Langeweile und Bereitschaft fürs Unerwartete treiben.

Vergessen, dass jemand auf einen wartet

Im Kinderheim trifft sie die sechsjährige Juliette (Esin Demircan). Das Mädchen ist schon drei Mal ausgerissen, und obwohl Juliette Margaux nicht gleich in die Arme rennt, entsteht zwischen den beiden eine zaghafte Bindung. Trotz des Altersunterschieds bewegen sie sich mit der gleichen Offenheit durch die Tage am See. Wachsen Kiwis am Wegrand, schlüpfen sie zwischen die Sträucher; wenn eine spontane Bootstour winkt, halten sie die Gesichter in den Wind und vergessen, dass man irgendwo auf sie warten könnte. Am Ufer rauschen unterdessen die Bäume, hört man den monotonen Chor der Grillen und die Rufe der Reiher.

Doch keine wünscht sich, dass alles beim Alten bleibt. Juliette sucht nach einer Familie, Margaux zieht es möglichst weit weg. Sehnsucht haben sie für drei. Die Regisseurin Jenna Hasse hat ihrem Film ein Zitat des Schweizer Schriftstellers Charles Ferdinand Ramuz vorangestellt. Es stammt aus dessen Roman „L’amour du monde“, auf dem Hasses Langfilmdebüt lose basiert: „Wie konnten wir nur so leben und mit so wenig zufrieden sein; wie konnten wir so klein leben, wo doch alles so groß ist, und es so viel gibt?“

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Die Frage liest sich wie die Klage eines Menschen kurz vor dem Ende, drückt aber auch aus, was man als junger Mensch an der Schwelle ins eigene Leben denken mag. Dass da draußen so viel ist, während die Erwachsenen sich längst einem Alltag aus Routine, Verpflichtungen und zwei Wochen Sommerurlaub ergeben haben.   

Als Margaux und Juliette Joël (Marc Oosterhoff) kennenlernen, der gerade als Fischer auf dem Genfer See arbeitet, finden ihre Streifzüge ein Ziel. Der junge Mann hat schon Erfahrung mit der Ferne und dem Aufbruch ins eigene Leben gemacht. Und er weckt Margaux’ Fantasie. Auf einmal fängt die passive Beobachterin an, Fragen zu stellen. Bei Juliette wiederum regt sich Hoffnung, weil er und Margaux sich mit aufrichtiger Zuwendung um sie kümmern. Da ist eine stille Verbindung zwischen den dreien, die sich wie vieles, was in dieser Geschichte passiert, nicht durch ausgesprochene Gedanken oder eindeutige Bilder äußert.

Ein Sommer ohne Kitsch oder Romantik

Jenna Hasse überführt diese Begegnung weder in Kitsch noch in erwartbare Romantik. Es wird in „Sehnsucht nach der Welt“, so viel sei verraten, keine neue Kleinfamilie entstehen, dabei hat uns das Kino doch so darauf konditioniert. Kurz schämt man sich fast für die eigene Enttäuschung darüber. Stattdessen lässt uns die 34-jährige Regisseurin in den Gesten und Blicken ihrer Figuren lesen. Bis sich schließlich die Ahnung eines Sommers einstellt, aus dem die Protagonistin ohne Storys zurückkehren wird, mit denen man die Freundinnen zu Hause beeindrucken könnte. Aber als veränderter Mensch.

Margaux (Clarisse Moussa) nimmt sich der sechsjährigen Juliette (Esin Demircan) an.

© mindjazz_pictures

Clarisse Moussa gewinnt in der Rolle Margaux’ das Publikum im Schlendergang und mit Blicken, die alles unvoreingenommen und gleichzeitig distanziert abtasten: die Freundin des Vaters, das Panorama der Berge, den jungen Mann im Boot. Irgendwann vergisst man die eigene Erwartung und fragt sich mit ihr, was von dieser Welt zu halten ist.

Auf der Berlinale erhielt „Sehnsucht nach der Welt“ eine sogenannte „lobende Erwähnung“, was mehr nach freundlichem Applaus klingt denn nach Begeisterung. Dabei gelingt dem Film, was manchmal nach einem sehr erfüllten Sommer passiert: Kehrt man zurück in den Alltag, fühlt sich alles noch eine Weile angenehm entrückt und aus der Zeit gefallen an.

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