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Kultur: Schwerter zu Pflugscharen

Katrin Langes zeitgemäße Parzival-Adaption hatte am Jungen Theater des Hans Otto Theaters Premiere

„Ich hab´ s satt“, stöhnt der junge Parzival gleich zu Beginn. Er will nur noch weg. Hat die Nase voll von dem ewigen Einerlei aus Rüben und Haferbrei. Muss raus aus diesem Tal, das noch nie einen anderen Menschen als ihn und seine Mutter sah. Da kommen ihm die drei Ritter, die plötzlich auftauchen, gerade recht. Er will in die Welt und so werden wie sie. Zumal er soeben auch das bis dahin sorgsam gehütete Geheimnis seiner königlichen Herkunft erfahren hat.

Bis zu diesem Punkt hält sich das Stück von Katrin Lange „Unterm hohen Himmel: Parzival“, das am Donnerstagvormittag im Jungen Theater des HOT unter der Regie von Carsten Kochan zur Premiere kam, noch ziemlich genau an die berühmte Vorlage von Wolfram von Eschenbach. Doch bereits beim Abschied übergibt die Mutter dem Sohn weder ein Narrengewand, noch bricht sie tot zusammen. Königin Herzleide – Jenny Weichert gibt sie als liebenswerte handfeste Pragmatikerin - bleibt im Tal, hackt weiter Rüben und hält über ein Jahr lang jeden Tag ein Mittagessen für ihren verlorenen Sohn bereit.

Der geht angetan mit Mutters Strickjacke in die Welt und sucht die Ritter der Gralsburg, die ihm so viel versprochen hatten. Langes Stück, das die promovierte Theaterwissenschaftlerin und Dramaturgin, im vergangenen Jahr als Auftragswerk für das Junge Schauspiel Düsseldorf schrieb, verzichtet im weiteren Verlauf sowohl auf den König-Artus-Bezug und „verkürzt“ auch die christlich-religiöse Ebene der Originalerzählung auf die bis zum Schluss bestehende Frage „Was ist Gott?“

Gleich zu Beginn seiner Wanderschaft hat Parzival jedoch einen wunderbaren Traum. Der handelt vom friedlichen Miteinander, spricht von Freundlichkeit und Gewaltverzicht. Doch das scheint sich so gar nicht mit dem zu decken, was der anfangs naive Bauernjunge auf seinen kommenden Wegen erfährt. Zurückgebliebene Witwen (Magda Decker, Ulla Schlegelberger) und Waisen, geschleifte Burgen und marodierende Ritter kreuzen seinen Weg. Wenn er denen begegnet, braucht es jedoch nur wenige Handgriffe – Parzival hat meistens nicht mal ein Schwert – und sie sind besiegt. Denn der großherzige Jüngling, Matthias Hörnke verleiht ihm auch mit Kahlköpfigkeit eine herrliche Arglosigkeit und wunderbar kindliche Neugier, entwaffnet sie alle im Nu. Und hat doch selbst nur einen Wunsch. Den erfüllt ihm – würdevoll und wurstig zugleich Alexander Weichbrodt als König Gurnemanz – indem er ihn endlich zum Ritter schlägt.

Von nun an lebt Parzival in einer anderen Welt, muss Regeln gehorchen, die so gar nicht seinem eigenen Naturell entsprechen. Fast zwei Stunden lang folgen die jungen Premierenbesucher ganz und gar gespannt dem märchenhaften Geschehen. Auch wenn sie keine ruhmreichen Schlachten oder wirklich „glanzvolle“ Ritter (Sebastian Stolz und Peter Wagner) mit ebensolchen Rüstungen (Kostüme: Vinzenz Gertler) erleben, haben sie trotzdem immer wieder ihren Spaß. Etwa wenn sie sich kaputtlachen bei den Liegestützen von König Gurnemanz oder wenn Parzival und Ritterin Kundrie - frech und vorwitzig Ulla Schlegelberger – wieder mal knutschen oder ziemlich verrückt Cancan tanzen. Nicht zuletzt tragen die witzigen und schlagfertigen Dialoge der Figuren zu einer insgesamt sehr kurzweiligen Inszenierung bei. Großes Lob auch für das Bühnenbild (Matthias Schaller), das aus dem „ewigen“ Schwimmbad mit wenigen Utensilien sowohl einen schummrigen Laubwald als auch ganz unterschiedliche Burgen schuf.

Insgesamt spielen Stück und Regie gekonnt mit der berühmten Vorlage und den tradierten Bildern. Egal, ob es sich dabei den Rittermythos oder um überkommene Geschlechterrollen handelt. Und: Beide finden eine überzeugende Alternative für die Suche nach und für die Bedeutung des Heiligen Grals. Sie „bedienen“ sich dabei einer ebenfalls über 700 Jahre alten alttestamentarischen aber durchaus zeitgemäßen Vision: der friedensstiftenden und -erhaltenden „Verwandlung“ von Schwertern zu Pflugscharen. Das wird nicht erzählt, indem man diese mit pädagogisch erhobenem Zeigefinger verfügt, sondern weil man die kindlichen Zuschauer am Finden des richtigen „Lösungsspruches“ bei der Suche nach der Gralsburg spielerisch teilhaben lässt.

Das ist anrührend und mutig zugleich in einer Zeit, in der jeden Abend neue kriegerische Auseinandersetzungen über die Mattscheibe flimmern und schon Grundschulkindern das Töten mittels Computerspielen „schmackhaft“ gemacht wird.

Langanhaltender herzlicher Beifall belohnte ein spielfreudiges Ensemble mit einem herzerwärmenden Ritter Parzival.

Nächste Vorstellungen am 5. und 6. sowie am 13. März jeweils 10 Uhr, Reithalle A, Schiffbauergasse

Astrid Priebs-Tröger

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