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Mirjam Völker
, „Aus heiterem Himmel“, 2021, Acryl auf Leinwand, 200 x 250 cm

© Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin, Foto: Uwe Walter

Schwebezustand: Ein Leben im Baumhaus

Die Galerie Eigen + Art zeigt in Berlin Malerei von Mirjam Völker

Von Jens Müller

Ob die Helikopter-Eltern von heute ihren Kindern noch erlauben, Baumhäuser zu bauen? Ob die Helikoptereltern-Kinder die Tarzan-Filme mit Johnny Weissmüller überhaupt noch kennen, die einen auf solche Ideen gebracht haben? Oder ob es vielleicht sogar diese alten Schinken sind, die sie zu ihren Baumbesetzungen (Baumhaus inklusive) gegen Garzweiler II motiviert haben?

Eine, die die eigentlich damals schon uralten Filme bestimmt kennt, ist die 1977 in Wiesbaden geborene Mirjam Völker. Denn sie liefen in den 1980er Jahren noch ständig im (west-)deutschen Fernsehen, meistens an langen Wochenend-Nachmittagen. Und es ist natürlich reine Spekulation, wenn nicht Küchenpsychologie, anzunehmen, dass die, nun ja, Obsession der Malerin mit dem Motiv des Baumhauses – möglicherweise, eventuell – etwas mit dieser Form der TV-Sozialisation zu tun hat. Aber was soll man machen, wenn die Information von Seiten ihrer Galerie Eigen + Art so verbindlich uninformativ ausfällt: „Das ‚Baumhaus-Motiv‘ gibt es seit jeher in den Arbeiten von Mirjam Völker.“

Was mag das heißen: „seit jeher“? Seit sie als Kind ihre ersten Strichzeichnungen gemacht hat - vermutlich nicht. Also vielleicht seit sie, viele Jahre später, erst bei Klaus Vogelgesang in Mainz und dann bei Arno Rink und Neo Rauch in Leipzig Malerei studiert hat. Seit ihrer ersten Ausstellungsteilnahme überhaupt oder ihrer ersten (von nun fünf) Einzelausstellungen in ihrer Galerie Eigen + Art?

Die Konstruktionen wirken fragil wie die Zelte Obdachloser

Man weiß es nicht. Aber man sieht, was man sieht: fünf Bilder in beachtlichen Maßen zwischen bis 2,50 Metern Länge (und Preisen zwischen 15.000 und 34.000 Euro). Auf allen findet sich ein Baumhaus. Mal von blauen Planen oder Textilien umhüllt („Ins Blaue“, „Rückschnitt“); mal mit grün-weißer oder gelb-roter Außenhülle; mal mit Silberfolie wie bei einer Rettungsdecke an der Außenseite. Gerade dieses letztgenannte Baumhaus auf dem Bild, dessen Titel auch der Titel der Ausstellung „Aus heiterem Himmel“ wurde, mutet durch das Zusammengestoppelte der verwendeten Materialien auf eine Weise notdürftig an. Beklemmend, wie die Behausungen von Flüchtlingen im sogenannten globalen Süden oder auch von Obdachlosen in US-amerikanischen – und zunehmend auch deutschen – Großstädten.

„Oft stehen meine Hütten auf Stelzen oder sind in Ästen befestigt, um die Fragilität, das Instabile oder den Schwebezustand zu verstärken. Das Baumhaus assoziiert man ja stark mit einem Abenteuerort für Kinder, das Behaust- oder Unbehaustsein ist doch etwas Existenzielleres und geht über die reine Abenteuerspielplatzromantik hinaus“, sagt Mirjam Völker dazu. Und dann entpuppt sich, bei genauerem Hinsehen, der Baumstamm unter der Hütte, mit all seinen organischen Windungen, als zwei riesige Fische, mit Flossen so dünn und transparent wie die an der Hütte befestigten, im Wind wehenden Tücher.

„Fragilität“ hat die Künstlerin gesagt. Dazu kommt das Surreale, das Geheimnisvolle der in einem Bild verschmolzenen, gemäß unserer Erfahrung von und unserem Wissen über die Realität so scheinbar überhaupt nicht zusammenpassenden Motive. Die aber andererseits in geradezu fotorealistischer Präzision ausgeführt sind, mit maximaler Schärfentiefe, was wiederum an die unwirkliche Perfektion von computeranimierten Körpern denken lässt: die urzeitlichen Fische als Wiedergänger der Dinosaurier aus „Jurassic Park“. Malspuren, Pinselstriche sind nur aus minimaler Distanz überhaupt erkennbar.Rätselhaft un

Suggestiv und rätselhaft

„Ich arbeite nicht an mehreren Bildern gleichzeitig, so wie ich auch nicht seriell arbeite (auch wenn ich das immer mal wieder versuche). Für die Arbeiten brauche ich Wochen bis Monate, je nach Größe, aufgrund der Detailreichheit ist dies sehr arbeitsintensiv, die reinen Arbeitsstunden habe ich noch nie gezählt“, gibt Mirjam Völker zu ihrer Arbeitsweise an. Die Antithese zu jeglicher „Lieber Maler, male mir“-Attitüde.

Dieses Demonstrieren der handwerklichen Meisterschaft; dieses Überlappen der Motive vor horizontlosen Bildhintergründen; dieses Rätselhafte, Suggestive, Traumhafte … Wüsste man es nicht bereits, man müsste annehmen, es mit einer Meisterschülerin von Neo Rauch zu tun zu haben, des berühmtesten Vertreters jener mit dem Label „Neue Leipziger Schule“ versehenen Kunstrichtung, für deren enormen Erfolg auf dem Kunstmarkt seit den 1990er Jahren der Eigen + Art-Galerist Judy Lybke maßgeblich verantwortlich war. Ist. Alle fünf Bilder aus der Schau sind bereits verkauft. „Seit jeher“: Wenn man jetzt nur noch wüsste, wann Mirjam Völker ihr erstes Baumhaus gemalt hat (Galerie Eigen + Art. Auguststr 26, bis 17.12.).

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