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Kultur: Schönheit und Scheitern

Mühsam, aber wahr: Frédérick Gravels „This Duet that we’ve already done (so many Times)“

Wider aller Rollenmuster beginnt die Deutschlandpremiere von Frédérick Gravels „This Duet that we’ve already done (so many Times)“ mit weiblicher Initiative. Genauer damit, dass die Tänzerin Ellen Furey, in grauen Jeans und kastenförmigem Hemd, ihren Körper ausprobiert, sich nach vorne beugt, den Hintern hochzieht und guckt, wie weit der Rest des Körpers folgen kann. Ihre Füße dreht, bis der Körper folgen muss.

Der Mann in diesem Duett, das bei den Tanztagen seine Deutschlandpremiere feierte, steht erstmal am Rand und guckt zu. Der Choreograf und Tänzer Frédérick Gravel steht da mit diesem hilflosen Blick, den er fast das ganze Stück über durchhalten wird. Fummelt am I-Pad herum, das quietschenden Lärm in die Boxen pustet. Es ist klar: In dieser Geschichte von Sex und Liebe ist der Mann ein postmodern Verunsicherter. Einer, der sich unsexy zaghaft bewegt, abwartet, und Furey lieber an ihrem schlampig geknoteten Dutt nach oben zieht, statt Zärtlichkeit oder Leidenschaft zu zeigen.

Bevor er und Furey sich zum Duett annähern, führt er in seinem Solo keinen Balztanz auf, sondern eine Performance, die an ein zartes Scherenschnitt-Spiel erinnert. An das Puppenhafte einer Papier-Marionette. Gravel ist ein feingliedriger Mann mit dauertraurigem Blick und akkurat geschnittenen, hübsch zu verwuschelnden Haaren. Zart, spielerisch und von unsichtbaren Mächten fremdgesteuert moondanced er sich durch den Raum. Jetzt steht Furey mit verschränkten Armen, Schnute und knallbuntem Hawaiihemd am Rand und schaut zu.

Dann aber gehen sie aufeinander zu. Und dass es dabei dreckig werden soll, deuten die Stiefel an, die sich die beiden vorher überstülpen. Um sofort aufeinander loszugehen. Nicht wie Ringer, nicht wie Boxer, sie raufen immer hart an der Grenze zwischen Aggressivität und Spiel entlang. Manchmal scheinen sie kurz in der Umarmung zu verharren.

Irgendwann stehen sie sich schließlich doch mit nackten Oberkörpern gegenüber. Aber ohne den Schutzpanzer des Spiels sind beide erst einmal völlig hilflos. Kraftlos. Ratlos. Diesen Moment, in dem man von Ironie zur Intimität wechselt, muss jeder überwinden, der einem Menschen nahekommen will. Er kostet immer Überwindung, und dabei geht es nicht ums Körperliche, sondern um die Blöße der Seele. Aber Herrgott, muss Gravel so schwächlich mit zur Berührung bereits erhobenen Ärmchen dastehen wie ein Magersüchtiger mit gezücktem Besteck? Und muss er dann, als er sich endlich dazu durchringt, so angstvoll diese fahrigen Bewegungen am fremden Körper ausführen? Berührungen, die Furey eher wehtun müssen, oder zumindest zu Tode nerven? Mit spitzen Fingern fummelt er an ihrem Haar. Lässt seine Hand knapp vor ihrer Brust in der Luft erstarren. Und immer verschleiert sein Selbstmitleid den Blick auf sie. Er kann sie unmöglich sehen, denkt man, weil er ständig nach innen schaut. Auch sie ist nicht frei von Angst, aber sie tut, was beherzte Frauen immer tun: Um vom eigenen Körper und seinen Fehlbarkeiten abzulenken, greift sie zu. Klatschend landet ihre Hand auf Gravels Bauch. Und endlich entsteht Dynamik zwischen den beiden, Energie. Endlich erzeugen sie Leben.

Als beide am Ende nassgeschwitzt und keuchend nebeneinanderstehen, zieht er sich, wie ein verwundetes Reh, an den Bühnenrand zurück. Er hat alles erreicht, jetzt, scheint es, kann er mit der Verletzlichkeit, die er offenbart hat, nicht umgehen. Er lässt sie stehen, verlässt sie. Aber Furey verwindet den Schmerz. Oder erträgt einfach ihre Verwundbarkeit. Wie eine Löwin über ihre eben gerissene Beute drapiert sie sich neben ihn. Gravels Stück ist – so ungeduldig es einen zwischendurch auch macht – eine präzise Reflexion über die Schönheit und das Scheitern zwischen Männern und Frauen im frühen 21. Jahrhundert. Ariane Lemme

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