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Die unsichtbare Macht des Fühlens. Wenn Melanie Straub spielt, entsteht ein eigenartiges Flirren um sie.

© HL Böhme

Schauspielerin Melanie Straub: Die Gratwanderin

Kunst ist Kunst - und alles andere ist alles andere: Die Schauspielerin Melanie Straub, Ensemblemitglied seit 2009, wurde mit dem Theaterpreis des Förderkreises des Hans Otto Theaters geehrt.

Melanie Straub trägt ihr Herz nicht auf der Zunge – aber sie trägt es auf der Brust. Ein kleines hellrotes Herz ist es, das da auf ihre Jacke genäht ist, viel kleiner, als das echte Herz sein muss, das darunter schlägt. „Ich lieb die Menschen, und Gefühle, und alle Seiten. Dafür interessiere ich mich“, sagt sie, aber sie sagt es leise, so leise, wie sie eigentlich meistens spricht, wenn sie nicht auf der Bühne steht. Dort kann sie alles sein, knallharte Geschäftsfrau wie die Vera in „Richtfest“ etwa oder durchgeknallt wie die Carol Cutrere in „Orpheus steigt herab“. Egal aber, wen sie spielt, immer erzeugt sie so eine Art Kraftfeld um sich herum, ein Flirren, das es unmöglich macht, wegzusehen. Alle Augen auf mich, scheint dieses Kraftfeld zu rufen – sie selbst würde so etwas vermutlich nicht mal denken.

Am Dienstagabend hat ihr der Förderkreis des Hans Otto Theaters, zu dessen Ensemble Melanie Straub seit der Spielzeit 2009/2010 gehört, den Theaterpreis verliehen. Natürlich, heißt es beim Förderkreis, habe das Ensemble auch andere wunderbare Schauspieler – aber für eine Auszeichnung muss man sich eben immer entscheiden. „Und für Melanie Straub fällt mir nur ein, was Ad Reinhardt einmal so schön gesagt hat: ,Kunst ist Kunst. Und alles andere ist alles andere’“, sagt Lea Rosh, die Vorstandsvorsitzende des Förderkreises. Der Preis wurde in diesem Jahr zum ersten Mal seit 2005 wieder an einen Künstler des Hauses verliehen, mit 3 000 Euro ist er dotiert. Viel wichtiger findet Melanie Straub aber die Ehre, die damit verbunden ist.

Vom Schweigen zum Sprechen

So ganz neu ist der 1976 in Waiblingen bei Stuttgart geborenen Schauspielerin das mit den Preisen ohnehin nicht mehr, vor fünf Jahren gewann sie den renommierten Nachwuchs-Förderpreis der Otto-Kasten-Stiftung. „Ja, dickes Ding“, sagt sie und lacht. Und ein bisschen erstaunlich ist es schon. Als Schülerin war sie viel zu schüchtern, um beim Schultheater mitzumachen – obwohl sie so gerne wollte. Stattdessen stand sie immer nur an der Tür und schaute bei den Proben zu. Glaubte, dass sie da vorn nichts zu suchen hatte. „Ich wusste aber immer: Irgendwann werde ich bereit sein. Schlimm war es trotzdem.“ Doch sie behielt recht. Der Punkt kam, als sie – während ihrer Ausbildung zur Physiotherapeutin – ein Jahr lang in der Psychiatrie arbeitete. In den Pausen probte sie dort in der Turnhalle verschiedene Rollen, zunächst nur pantomimisch – dabei musste sie immerhin nicht sprechen. Als ihr dabei einmal doch ein Wort über die Lippen rutschte, verstand sie: Ich kann es ja doch. Seitdem sei ihre Stimme von Jahr zu Jahr tiefer geworden, habe sie gelernt, ihren ganzen Körper wie ein Instrument zu nutzen. Nach dieser eher zufälligen Entdeckung ihrer Stimme bewarb sie sich an der Ernst-Busch-Schauspielschule – und wurde sofort genommen.

Seitdem eignet sie sich quasi eine Rolle nach der anderen an. Für sie funktioniert das immer ein bisschen wie beim Verliebtsein. Man kennt das ja: Fährt die neue Liebe ein blaues Auto, sieht man plötzlich nur noch blaue Autos. So sei es auch bei den Rollen. „Ich sehe dann plötzlich nur noch Frauen, die sich so bewegen, reden, wie es die Figur in meinem Kopf auch tut.“ Wie ein Mosaik setzt sich ihr Bild von der Figur dann zusammen.

Auf der Suche nach den starken Frauen

Eine ihrer größten Rollen am Hans Otto Theater war die der Anja Ranjewskaja in John von Düffels Tschechow-Adaption „Der Kirschgarten“. Eine Anja, die sie mit hauchdünner Schale spielte. Ein zartes Wesen, das sich immer mehr in sich zurückzieht, je unwahrscheinlicher ihr Kirschgartentraum wird. „Ich liebe Tschechow ganz einfach“, sagt sie dazu, und mehr gibt es vielleicht auch gar nicht dazu zu sagen. Eher über die Rollen, die sie noch nicht gespielt hat: Kassandra, Elektra, Medea – die ganzen starken Frauen aus den griechischen Tragödien. Gerade die, das weiß sie, wird es am Hans Otto Theater aber wohl kaum geben.

Einen ganzen Kanon an großen Rollen, das muss man allerdings auch sagen, hat sie schon gespielt: Lady Macbeth, Schillers Maria Stuart, Goethes Iphigenie und Lessings Emilia Galotti – allesamt am Schauspiel Magdeburg, wo sie 2004 direkt nach ihrem Studium an der Ernst-Busch-Schauspielschule ins Ensemble eingestiegen war. Dort traf sie auch Intendant Tobias Wellemeyer, der sie bei seinem Wechsel nach Potsdam mitnahm.

Nebenbei hat sie – zuletzt bei Andreas Dresens Verfilmung von „Als wir träumten“ – immer auch mal kurze Ausflüge zum Film gemacht. Das Theater aber irgendwann dafür zu verlassen – auf keinen Fall. „Das Theaterspielen, den Geruch, das Gefühl – das kann man nicht mit Film vergleichen!“ Und dann gibt es am Theater ja immer das Ensemble, das über die Jahre zusammenwächst. „Das ist fast wie in einer Beziehung, entweder man langweilt sich dann – oder aber man bleibt wach und entdeckt immer wieder Neues an den anderen.“ Im Potsdamer Ensemble neugierig zu bleiben sei aber auch einfach, findet Melanie Straub. Hier geht es um die Geschichte, das gemeinsame Suchen. Sie muss es wissen, sie hat hier einige der sehr großen Frauenrollen gespielt, es gibt Kolleginnen, bei denen es deutlich weniger sind. „Ich denke, in einem anderen Ensemble würde das zu ganz bösem Blut führen – hier wird offen drüber geredet, aber es finden keine Kämpfe auf der Bühne oder hinter dem Rücken anderer statt.“

Den Vorhang auch mal fallen lassen

Man sieht der schmalen Frau mit den hellroten Haaren an, wie froh sie darüber ist. „Seit ich Kind bin, hab ich so ein ganz ganz tiefes Empfinden“, sagt sie. Das ist vermutlich genau das, was ihr auf der Bühne nutzt, was ihr dort diese Wucht verleiht – was einen im normalen Leben aber sehr verwundbar macht. So ist es ja immer: Wer sich öffnet, für das Leben mit allem Drum und Dran, der kann nicht auf einmal umschalten, dem fällt es schwerer als anderen, nicht jeden Mist an sich heranzulassen. „Das muss ich lernen, sonst geht man daran zugrunde“, sagt sie.

Dieses Trennen von Beruf und Privatem, könnte man denken, ist vielleicht doppelt schwer, wenn man mit einem Kollegen verheiratet ist – wie Melanie Straub mit Wolfgang Vogler. Ist es aber gar nicht, es hilft sogar. „Diese Art, wie wir leben – das ist schwer für jemanden zu verstehen, der nicht in diesem Beruf ist.“ Wenn man in den Endproben etwa „jenseits von gut und böse“ ist, oder mit einem anderen Kollegen unglaubliche Liebe spielt. Wenn der Partner dann nicht weiß, was das bedeutet – „das kann dann schon zu Zoff führen“, sagt Melanie Straub. Und dann gibt es ja noch ihre Kinder, fünf Jahre und sechseinhalb sind sie. Wenn sie zu ihnen nach Hause kommt, dann ist das mit dem Loslassen der Rollen ohnehin nicht ganz so schwer.

ZUR PERSON: Melanie Straub, 1976 geboren, stammt aus Waiblingen bei Stuttgart. Sie studierte an der Ernst-Busch-Hochschule in Berlin, seit 2009 gehört sie zum Ensemble des Hans Otto Theaters.

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