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Kultur: (Rück)Baut euch eure Stadt

Flächendeckende Ausstellung „Ideal City – Invisible Cities“ eröffnet

Es ist schon seltsam, wenn man anfängt, in der eigenen Stadt mit einem Plan in der Hand wie ein Anfänger herumzulaufen und Orte aufzuspüren, die der Wahrnehmung bisher entgangen waren. So findet man das ehemalige Lazarett in der Schopenhauerstraße, oder betritt ein geisterhaft wirkendes Wohnhaus in der Schlossstraße. Zudem erhellt der Kunststadtplan von „Ideal City – Invisible Cities“ in leuchtendem Orange auch Orte im Freien, an denen Kunst zu finden sein soll. Wenn der Hinweis auf dem Boden nicht wäre, würde man glatt den „schmutzigen Brunnen“ von Monika Sosnowska im Staudenhof als ein schon ewig dort verlodderndes Teil ansehen. Und offensichtlich hat sich die Installation so intensiv ihrer Umgebung angepasst, dass sie noch nicht einmal das schmutzige Wasser führt, das der Titel verspricht.

Gleich um die Ecke im Schaufenster der Fachhochschule war bei der Vernissage jede Menge Kunstelite zu sehen, was möglicherweise dazu führte, dass die dort ausgestellten Werke ganz schön postmodern-dekonstruktivistisch wirkten. Auch wenn Tim Ayres beispielsweise durch seinen Titel angibt, es handele sich um einen Turm („a spire“), sucht man ihn in den weiß unterbrochenen schwarzen Flächen und Linien lange, ehe man ihn zu finden vermag.

Erfreulich ist es aber allemal, dass so viel Kunst eine konstruktive Stadterfahrung ermöglicht, wenn sich auch die Verwaltungen dekonstruktiv verhielten und der Potsdamer Ausstellung nichts beifügten außer einer Rede der Kulturamtsleiterin und der Schirmherrschaft durch den Ministerpräsidenten. Wie ideal muss diese Stadt sein, wenn dennoch 41 Künstler ausstellen können. Ausgewählt waren mit Zamosc in Polen und Potsdam zwei „ideale Städte“, die (zum Teil) auf dem Reißbrett entstanden. Allein die Tatsache, dass die Ausstellung die Entstehungsgeschichte dieser beiden Städte erneut ins Bewusstsein hebt, ist ein Verdienst. Aber auch, dass nach Jahren der Abstinenz jeglicher künstlerischer Anstrengung der Versuch unternommen wird, sich mit möglichen, utopischen Stadtplanungen auseinander zu setzen, gehört zu den Leistungen der von Sabrina van der Ley und Markus Richter kuratierten Doppelstädteschau.

Sie macht durch die dezentrale Anlage den jeweiligen Stadtplan und seine Geschichte neu erfahrbar und zwingt die Interessierten, sich nicht nur mit Kunst auseinander zu setzen, sondern auch mit (Stadt)Räumen. Was in Zamosc, einer Stadt mit nur 5000 Einwohnern, eine ungebrochene Rück-Sicht ermöglicht, ist in Potsdam angesichts der Geschichte der ständigen Stadterneuerungen, der Abrisse und Neubauten ganz anders zu erleben.

Das macht die Pyramide klar, die Colin Ardley am Stadtkanal aufgebaut hat: Während diese in Zamosc den Proportionen der idealen Stadt entsprach, ist sie hier unterbrochen, durchbrochen, in Einzelteile zerfallen, aber versöhnlich durch eine Treppe zusammengefügt. Nachts glänzt das metallene Gebilde verheißend und sieht auch am Tag gut aus. Neu zu erkunden ist ein unbewohntes Haus in der Schlosstrasse 9, wo neben einem mit Sperrmüll beladenen und nahezu zugewachsenen Garten – der verwunschene Garten wird so nebenbei als unverzichtbarer Muse-Ort einer „idealen Stadt“ bewusst – die Collage „Habitat“ von Kataryna Józefowicz zu ergründen ist. Unzählig viele in- und übereinander gestapelte Pappschränke, mal schräg, mal mit offenen Schubladen, nachlässig eingelegten Brettern, ergeben eine Papp-Stadt. Sie erinnern sowohl an uneingerichtete Puppenstuben, als auch an die in der Wirklichkeit inzwischen viel farbiger daher kommenden Plattenbauten. Das Haus bindet unfreiwillig-freiwillig seine Kachelöfen in die Ausstellung mit ein, die knarrenden Dielen der leeren Wohnungen überdecken das Geräusch der Videoinstallationen von Les Schiesser, und diese Unbehaustheit dominiert schier über die ausgestellten Objekte.

Anders dagegen im alten Lazarett in der Schopenhauerstraße, in dem die Kunst stärker wirkt als das weitläufige Gebäude, das sich gut als Potsdamer Kunsthalle machen würde. Unterschiedliche, aber allesamt interessant erscheinende Positionen zur idealen Stadt sind da zu erleben, z.B. Albrecht Schäfers „Planspiel“, bei dem Kinder mit Bauklötzchen den Alexanderplatz und Le Corbusiers „La Ville“ bauen, genauso wie die Großen es taten. Die Rasterfotos machen auf den negativen Aspekt utopischer Entwürfe aufmerksam und lassen das Ideal als Gefahr erscheinen. Die Nomadenzelte aus Faden und Nadeln von Carlos Garaicoa entfalten eine ästhetisch leichte Aura, und die Wiederaufnahme der Häuser für die Skulpturen des Parkes Sans-Souci in anderer Dimension und Bemalung durch Brian O“Connell erfreut des Potsdamers Herz. Krzysztof Zielinski lädt mit den Fotos seiner Heimatstadt Wabrzezno ein, darüber nachzudenken, wie die Erfahrung mit anderen Orten den eigenen Blick selbst auf das Vertrauteste ändert: aus Prag zurückgekommen, wurden ihm erstmals die Schäbigkeit und Tristesse seiner Stadt klar und er fotografierte die Straßenecken, Höfe und Fassaden mit den Augen eines Fremden.

In dem informativen Katalog sind solche Dinge nachzulesen – und das Architekturpapier des Umschlags lädt dazu ein, sich eine eigene ideale Stadt zu bauen. Die Gedanken sind schließlich frei. An die Arbeit!

Die Ausstellung ist bis zum 29. Oktober zu sehen.

Lore Bardens

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