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Sreemoyee Singh, Regisseurin des Panorama-Films „And, Towards Happy Alleys“.

© Berlinale

Regisseurin Sreemoyee Singh: Verliebt in das iranische Kino

Um ihre Idole interviewen zu können, lernte die indische Regisseurin Sreemoyee Singh eigens Farsi. Jetzt ist sie mit einer Doku auf dem Festival.

„Als mein Leben nichts weiter war als das Ticken der Wanduhr, wusste ich, ich muss, ich muss, ich muss wahnsinnig lieben.“ Das heißt: als käme morgen schon das Ende. Die Dichterin und Filmemacherin Forough Farrokhzad war 32 Jahre alt, als sie bei einem Autounfall starb. Das war vor 56 Jahren, aber bis heute hallen ihre Verse im Iran nach: Gedichte über Sehnsucht, Liebe und Angst, die nicht nur iranische Frauen im Streben nach einer gerechten, freien Welt begleiten.

Die Verse haben auch Sreemoyee Singh in Indien erreicht. Die heute 33-jährige Regisseurin war so berührt, dass sie zur Grundlage ihres Dokumentarfilms „And, Towards Happy Alleys“ geworden sind, einem Film über die persische Sprache und Poesie, den iranischen Autorenfilm und den politischen Kampf.

Als sie zum ersten Mal von der Dichterin las, war Singh 21. Damals wusste sie nicht viel über iranisches Kino oder Feminismus. Farrokzhads Gedicht Gunah (Sünde) habe auf eine Weise von weiblichem Bergehren gesprochen, von der sie nicht wusste, dass es möglich sei, sagt Singh beim Gespräch in Berlin.

Gegen die Unfreiheit singen

Sie selbst wurde in einem musikalischen Umfeld groß. Im Film hört man sie häufig singen, während sie sich in Teheran auf die Spuren Farrokzhads begibt. Sie singt in einem Land, in dem Frauen nicht öffentlich singen dürfen, fast immer dasselbe Lied: „Soltane Ghalbha/König meines Herzens“.

So gut wie jeder kennt es im Iran: „Ich wusste, dass jeder sofort mitsingen wird.“ Im Film stimmen die Schülerinnen, deren Rektorin ihnen das Mitsingen verbietet, unmittelbar in den Gesang ein.

Für den Film traf Singh auch Jafar Panahi

Sie mache Filme, weil Musik und Poesie für sie nicht ausreichten, sagt Singh. Dabei habe vor allem die iranische Poesie und das Kino sie inspiriert. Farrokhzads Lösung sei es, wahnsinnig zu lieben. „Das ist es am Ende des Tages doch, oder? Das ist alles, was die Welt verändern kann.“ Im Film ist das Grab der Dichterin ein Treffpunkt für alle, für Künstler:innen wie für Aktivist:innen.

Über sechs Jahre hat Singh gedreht und unter anderem Jafar Panahi getroffen, bevor der Regisseur ins Gefängnis musste, die Autorin Jinous Nazokkar, die Schauspielerin Aida Mohammadkhani, die Frauenrechtlerin Nasrin Sotoudeh und den Filmemacher Mohammad Shirvani. Sie alle berichten von ihren Kämpfen, um ihre Werke, um die Freiheit.

Szene aus „And, Towards Happy Alleys“....

© Happy Alleys Film

Es sind Kämpfe, die Singh auch aus Indien kennt. „Was die iranischen Frauen durchmachen, ist viel schlimmer, aber auch in Indien machen die Frauen schlechte Erfahrungen“, sagt sie. Farrokhzads Gedichte zeigen ihr, dass auch sie über Begehren sprechen könne. Da wusste sie, was Rebellion bedeutet.

Ein Klima der Hoffnung, Angst und Ironie

Hinzu kommen Alltagsszenen, etwa eine Autofahrt, bei der sich das Gespräch um das Kopftuch und um Sittsamkeit dreht. Als Singh aus dem Wagen steigt, fragt ein kleiner Junge auf dem Fahrrad, warum sie ihr Tuch nicht trägt. Nur ein Kind, und doch schon eine Hijab-Polizei.

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Die Regisseurin hat zahlreiche Situationen eingefangen, die zeigen, was ein Leben in Unterdrückung bedeutet. Aber trotz der omnipräsenten Zensur, hören die Menschen nicht auf zu träumen.

Ein Klima der Hoffnung, der Angst, und manchmal auch der Ironie. Revolutionen wie die aktuelle im Iran, seit die 22-jährige Jina Mahsa Amini im September von der Sittenpolizei ins Koma geschlagen wurde und starb, entstehen nicht im luftleeren Raum, auch das zeigt der Film.

Nachrichten aus dem Evin-Gefängnis

„Jede Handlung im Alltag ist eine Handlung des Widerstands“, sagt Sreemoyee Singh. Um das zu verstehen, hat sie eigens Persisch gelernt. „Als ich anfing, fließend Farsi zu sprechen, änderte sich vieles. Die Leute fingen an, mich als Insider zu betrachten.“

Singh hat ausführlich recherchiert, das Vertrauen ihrer Protagonist:innen gewonnen. Mit einigen ist sie bis heute befreundet, darunter mit Panahi, der 2015 den Goldenen Bären für „Taxi Teheran“ gewann.

Über seine Familie ließ sie ihn wissen, dass ihr Film nun ebenfalls hier läuft. Er gratulierte ihr auch vergangenes Jahr, als sie ihren Doktor zum iranischen Film gemacht hatte. Da saß Panahi noch im Evin-Gefängnis.

Ihr Film, sagt die Regisseurin, leiht sich die Sprache der Poesie, um vom Alltag im Iran zu erzählen. Diese Sprache spricht jeder.

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