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Kultur: Raubritter hinter dem Plattenteller

Rüpel oder Feingeist? Mark Spoon hat stets polarisiert. Über den Tod eines Techno-DJs

„Schreiben Sie, dass er ein ganz toller Mensch war. Und ein ganz großer Musiker. Und großzügig war er. Und unglaublich komisch, meine Güte, konnte der komisch sein.“ Matthias Grein, Manager und langjähriger Weggefährte von Mark Spoon, ist tief erschüttert über die Nachricht vom Tod des 39-jährigen DJs. Am Dienstagmorgen war der groß gewachsene Mann leblos in seiner Berliner Wohnung gefunden wurde. Er starb an einem Herzinfarkt, heißt es. Plötzlich sind alle, die ihn kannten, auf Erinnerungen angewiesen. Trügerische vielleicht. Denn der Mark Spoon des Matthias Grein hat mit jenem Mark Spoon, über den ein anderer Weggefährte sagte, er sei eine Art „moderner Raubritter, der durch die Lande zieht und Angst und Schrecken verbreitet, ein Mann wie eine Märchengestalt“, wenig gemein. So formulierte es Westbam für das Booklet der Mayday von 1989. Markus Löffel, wie der so Beschriebene bürgerlich hieß, war sehr zufrieden damit.

Wollte man die Techno-Geschichte tatsächlich als Märchen erzählen, würde Spoon wohl darin auftreten als Shreks großer, übellauniger Bruder: ein zwei Zentner schweres, Wodka schluckendes Naturereignis, ein imposanter Rüpel, bei dem die Grenze zwischen zwischenmenschlicher Aufrichtigkeit und ungerichteter Aggressivität sehr dünn war, und stets unberechenbar. „Ich bin so groß und dick“, sagte er einmal, „wenn mir jemand ein Stöckchen zwischen die Füße hält, dann trete ich einfach drauf.“

Wer ihn nicht gut kannte, habe ihn gehasst, sagt Grein. „Wer ihn aber kannte, der hat ihn geliebt.“ Auch Westbam erinnert sich weniger an Spoon, den monströsen Bruder Unmaß, sondern an Spoon, den Komödianten. „Da gab es diese Afterhour-Situationen, morgens im Hotelzimmer, da konnte Spoon eine ganze Gruppe von Leuten über Stunden hinweg fesseln mit irrwitzigen, surrealistischen Monologen. Das war wie ein Konzert, nur mit Sprache.“

Bei den meisten Kollegen war er jedoch gefürchtet als einer, der kein Blatt vor den Mund nahm, selbst wenn man ihm direkt gegenüberstand. Armand van Helden bezeichnete er als „arrogantes Arschloch“, über die „Pipi-Jungs“ von Scooter zog er her mit der Bemerkung: „Wenn Zensur überhaupt stattfinden darf, dann bei diesem Dreck.“ Und dem Kollegen Talla bot er seine Gage an, damit der nicht mehr nach Ibiza, dem Techno-Paradies, kam. Mit dem Publikum ging er ebenfalls nicht zimperlich um. Wer ihm im Weg stand, wurde weggerempelt. Wenn er einen schlechten Tag hatte, hing er mit finsterer Miene lustlos am Plattenspieler, wehe, wenn ihm einer krumm kam. Er goss sich Bier über den Kopf, beschimpfte und verspottete die Raver, und als er im letzten Jahr ausgebuht wurde, kam er hinterm Pult hervor und verpasste dem Unzufriedenen eine Backpfeife. Zu einer Art Schlachtruf des Techno wurde sein berühmter Ausruf, als er auf der Loveparade 1995 das Publikum anfuhr: „Warum seid ihr so scheiße leise?“

Es gab durchaus Gründe, mit Spoons DJ-Handwerk unzufrieden zu sein. Er war beileibe kein Filigranarbeiter, die rumpelnden Übergänge seiner Sets berüchtigt. Er wusste aber genau, wann er die so genannten „Bretter“ einzuflechten hatte, um sich die tanzende Masse gefügig zu machen, staunten Weggefährten. Dafür wurden seine Auftritte geliebt. Spoon aber legte nicht einfach nur Platten auf. Er war Dramaturg und Performancekünstler, er pflegte die Grobschlächtigkeit in seiner Musik wie in seinem Umgang als grimmiges Gesamtkunstwerk. Dass er durchaus auflegen konnte, wenn er wollte, bewiesen seine Auftritte auf der Mayday, die er so ernst nahm, dass er manchmal sogar noch im Hotelzimmer übte. Und als er sich vor einem Auftritt in München das Bein brach, absolvierte er ein glänzendes Set, mit Gipsverband im Rollstuhl sitzend.

Mit 14 Jahren schon legte Markus Löffel auf Schulpartys auf, meistens Hip- Hop. Als gelernter Koch bewirtete er die Gäste der Frankfurter Großraumdisko Music Hall. Anfang der neunziger Jahre, als in Frankfurt die ersten frühen Raves stattfanden, gab er seinen Einstand als Techno-DJ. 1991 bis 1994 unterhielt er dort den XS-Club, anschließend bestritt er jahrelang die Sonntags - Frühschicht im weltberühmten Frankfurter Club Dorian Gray. Neben Sven Väth und Westbam wurde Mark Spoon zu einem Säulenheiligen des deutschen Techno.

Bedeutender als die DJ-Auftritte war seine Arbeit als Produzent. Mit dem studierten Konzertgitarristen Rolf Ellmer bildete er das Duo Jam and Spoon, eine Formation, die die Errungenschaften des Dancefloors in poppig-sanfte Hymnen verwandelte und weltweit in die Charts brachte. Gleichzeitig, oft auch unter anderem Namen, trieben sie die Verfeinerung funktionaler Tanzmusik weiter. Mit transparenten und geradlinigen Tracks wie „Stella“ oder dem „Age-of-Love“-Remix, speziell fürs Dorian Gray konzipiert, war etwas erfunden, das bis heute die Trance-Musik prägt.

Dimitri Hegemann hat Mark Spoon oft in seinem Tresor-Club erlebt. „Ich habe mich ein bisschen fern gehalten“, sagt er rückblickend, „nicht weil ich ihn nicht mochte. Aber mir war das zu wild. Das war einfach zu krass. Im letzten Jahr ist er etwas zugänglicher geworden. Ich glaube, er wusste, dass er krank ist, und dass das so nicht mehr weiter gehen kann. Er ist ja auch plötzlich so schlank geworden.“ Spoon zog zuletzt von Frankfurt nach Berlin und trat nur noch selten auf. Die goldenen Zeiten waren für seinesgleichen vorbei. Doch die Veranstalter überlegten es sich sehr genau, ob sie sich einen teuren Star leisten wollten, der sein Publikum möglicherweise in Angst und Schrecken versetzte. Spoon hatte wieder angefangen zu kochen. Am Herd, so wird berichtet, war er wie an den Plattentellern: Da wurde mit großer Geste in die Gewürzfässer gegriffen. Er wollte ein Restaurant eröffnen. Und erwog sogar, als Fernsehkoch aufzutreten.

Ob der bad boy des Techno den Übergang in eine bürgerliche Existenz hätte bewältigen können, ob er sie überhaupt wollte, wird sich nicht mehr herausfinden lassen. Spoon war ein Kind seiner Zeit, er brauchte den Auftritt, das „ganz große Kino“. Markus Löffel war mit seinem Image, mit Spoon dem Techno-Rüpel, gänzlich verwachsen, sagt Westbam, „ein Gefangener der eigenen Performance“. In der elektronischen Tanzmusik brachte er es zum einzigen Rock’n’Roller von Weltformat. „Aber eigentlich“, sagt Westbam, „war der Spoon ein Feingeist.“

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