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Kultur: Putzen und Zählen

Das Stück „Die Platte lebt“ am Schlaatz uraufgeführt

Mit Ausnahme der Gründerjahre vom „Jugendfreizeitzentrum“, später „alpha“, jetzt „Bürgerhaus“ genannt, gab es am Schlaatz nie eine Theatergruppe. Es sei auch heute ziemlich schwer, „hier an die Menschen heranzukommen“, sagte Axel Tröger, nachdem das selbstgeschriebene Stück „Die Platte lebt!“ vor Ort Premiere hatte.

Wenn man die beiden Vierjährigen Adija Rackowiak und Marius Mende als Mitspieler dazuzählt, konnte Tröger (zusammen mit Astrid Priebs-Tröger) trotz dieser wenig erfreulichen Lage zehn Köpfe bis zum Erwachsenenalter für das Theaterprojekt mobilisieren. Ob Stern, Schlaatz oder Drewitz, sie alle haben hautnahe Erfahrung mit „der Platte“, und manche Anregung ist aus den legendären „Arbeiterschließfächern“ direkt in seine Feder geflossen: Wie fern man sich Tür an Tür geblieben ist, wie nahe man sich manchmal kommt, erzählt die Projektgruppe in einer losen Szenenfolge mit heiterer oder bitterer Tönung. Selbstgebaute Kulissen für eine gelbe und blaue „Ecke“, zwei Türen dazwischen, hübsche Geigenklänge (Max Heidrich) für den Umbau, alles wurde mit Liebe und Umsicht vorbereitet und weitgehend glaubhaft gespielt.

Die Platte lebt? Da war sich die anfangs ins Publikum gemogelte Theater-Personage nicht einig, die einen lobten, andere fluchten dem „Neubau“ gehörig – ein kräftiger Start in die Vorstellung. Nun folgte Tacheles: Ein arbeitsloser Macho-Mann (Juliane Mende) versucht den kaputten Toaster zu reparieren. Seine Frau (Anja Rackowiak) kommt von der Arbeit heim, es gibt heftigen Streit, bis sie das unreparierte Ding aus dem Fenster wirft. Er („ich bin ein Mann, der richtig was kann!“) geht in die Kneipe... „Putzen und Zählen“, eine Momentaufnahme zwischen Mutter (Donata Bethke) und Tochter (Ulrike Haase), ist „der Platte“ schlecht anzukreiden, denn wer mit seinem Leben nicht mehr anzufangen weiß als ständig Staub zu wischen und Löffel zu zählen, ist doch selber schuld, oder? Weiterhin sah man die Begegnung zweier Frauen fremden Aussehens, die wegen deutscher Vorbehalte hier nicht heimisch werden können, eine phantasievolle Flibustierszene zweier Brüder mit ihrer „Vernunft“ mahnenden Mutter, anderes, mehr oder weniger gelungen. Voller Heiterkeit, aber nicht ganz durchinszeniert, erlebte man später vier Leute in einer Wohnung, jeder behauptend, es sei die seinige.

Solche Szenen schreibt die Platte tatsächlich, nicht aber, wenn zwei sich streiten, weil die eine vegetarisch isst, die andere lieber Döner. Das könnte, wie beim „Putzen und Zählen“, auch in Potsdam-West geschehen sein. Neubaugebiete waren und bleiben ja „Problemzonen“ dieser Gesellschaft. Gerade hier Leute fürs Theater zu interessieren, ist sicher eine „soziokulturelle“ Tat, aber man muß auch wissen, dass die Bühne keiner Beweise bedarf. Anders gesagt: Die Inszenierung ist für einen Thesenbeweis viel zu schade: dass „die Platte lebt“ ist unbestritten, wie sie es tut, ist gleichfalls bekannt. Was also?

Engagement, Spielfreude, Ernsthaftigkeit auch bei den anderen Darstellern Sylvana Groß, Christian und Peter Pechstädt sowie Silvio Bojarski. Das Stück endet, wie es begann: Der Mann bringt seiner Frau einen anderen Toaster für das ersehnte gemeinsame Frühstück. Sie wirft auch dieses Ding aus dem Fenster, seltsamerweise. Ein Fünkchen Hoffnung bleibt – Goodwill auf soziologisch ...

Gerold Paul

Nächste Vorstellung am 9. 11. im Bürgerhaus Schlaatz

Gerold Paul

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