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Der Kunstkritiker Burkhard Müller beobachtet in Potsdam starke Fronstellungen, nicht nur am Alten Markt.

© J. Bergmann

Potsdamer Stadtbild: „Schönheit ist eine schwankende Größe“

Der Kunstkritiker Burkhard Müller spricht im PNN-Interview über das Soldatische im Potsdamer Stadtbild und Gebäude, die Geschichte verharmlosen.

Herr Müller, Ihr Buch „Fälschungen, Verwandlungen“ vereint Essays über Kunstfälscher und Hochstapler, aber auch über Gebäude. Dem Potsdamer Stadtschloss widmen Sie mehrere Seiten. Wie kam es dazu, dass Sie es in die Sammlung aufgenommen haben?

Mich interessiert, wie Geschichte eine andere wird, wie man mit Geschichte umgehen kann und was dabei herauskommt. Und Gebäude ziehen mich besonders an. Welchen Status haben Gebäude, die schon mal komplett weg waren und dann wieder hingestellt werden. Und da haben mich vor allem drei Schlösser, die drei ganz unterschiedliche Konzepte verfolgen, nämlich Braunschweig, Potsdam und Berlin, interessiert.

Sie schreiben, „wer das Berliner Schloss nicht mag, wird das Potsdamer hassen“. Wie kommen Sie denn darauf?

Das Berliner Stadtschloss ist doch eine relativ komplexe Residenz. Dagegen ist das Potsdamer Stadtschloss einfacher gestrickt. Das Fortunaportal würde ich ausnehmen, das hat eine gewisse Grazie. Aber ich finde das Schloss schon im Original kein wirklich gelungenes Gebäude. Wenn ich mir die alten Fotos anschaue: Da stimmen die Proportionen nicht, es ist riesig und doch relativ einfach gebaut. Was schön gewesen wäre, wäre, das Fortunaportal als Zitat wiederzuerrichten. Den Rest – diesen Kasten, der im Nirgendwo steht – hat man den wirklich gebraucht?

Als Sie sich das Gebäude 2015 anschauten, stand es noch relativ allein da. Künftig soll es sich in einen ganzen Komplex aus teils barocken Gebäuden und Straßenzügen einfügen. Von den Spannungen in der Stadt, die sich daraus ergeben, scheinen Sie als ein von außen Kommender schon damals eine Ahnung gehabt zu haben. „Muss eine nette Stimmung im Stadtrat sein“, schreiben Sie. Wie nehmen Sie Potsdam wahr?

Potsdam ist eine tief gespaltene Stadt. Das spricht sich im Stadtbild sehr deutlich aus. Und ich frag mich, welches Verhältnis zur Geschichte sich dort überhaupt verbirgt. Geschichte ist ja etwas, was vorangeht, nichts räumlich Beliebiges, wo man hin und zurück kann, sondern was vorbei ist, ist vorbei. Und diese Art von Architektur streitet das ab. Die glaubt, man kann Gebäude nachbestellen wie kaputte Tassen in einem Service, wenn etwas zu Bruch geht.

Im Fall Potsdam stören Sie sich vor allem an der Geisteshaltung der ursprünglichen Erbauer. Sie sprechen vom „Urbild des Preußischen, des Soldatischen“, das im Schlossbau zutage tritt.

Potsdam ist von Anfang an als Garnisonstadt angelegt. Und hier spricht sich der preußische Geist als ein militärischer Geist rein aus. Will man das wirklich wieder zurückhaben? Das ist die Frage, die mich interessiert.

Nun ist auch der Bau des Turms der Garnisonkirche besiegelt. Wie stehen Sie dazu? Wird da auch ein Geist wiedererweckt, der nicht wiederauferstehen sollte?

Die Garnisonkirche ist, wie der Name schon sagt, eine Kirche für die Garnison. Das heißt, hier steckt eine militärische Tradition dahinter. Das ist ja eigentlich nicht die Tradition, die dieser Staat heute hat. Und in so einem Fall finde ich, es ist kein schlechter Kompromiss, sich auf den Turm zu beschränken. Der Turm der Garnisonkirche ist ein sehr schönes Gebäude, die Kirche hingegen, fast ein bisschen klein, ein ziemlicher fantasieloser Kasten. Wenn man sehen würde, dass nur der Turm da ist, würde man damit zum Bewusstsein bringen, dass hier etwas verloren ist. Man sieht noch etwas, aber es ist eigentlich ein Unterpfand. Es ist nicht der Glaube, man kann das, was verloren ist, gänzlich zurückbringen. Dieser Glaube scheint mir eine Verräumlichung und Verharmlosung von Geschichte. Als gäbe es keinen Tod. Es gibt den Tod aber. Der Tod ist das große Kontinuum der Geschichte.

Und dann gibt es ja noch die DDR-Moderne, um die in der Stadt heftig gestritten wird. Wie schätzen Sie dieses Gefecht ein?

Ich finde, das hat durchaus komische Züge. Es kämpfen zwei Traditionen gegeneinander. Die beide sagen, wir sind aber das Ältere und das Legitime. Die DDR sagt, das Wiedererrichtete ist nicht alt, sondern nachgemacht. Das Wahre, die ungebrochene Tradition ist das, was hier in den letzten 70 Jahren passiert ist. Und nicht, was vor 200, 300 Jahren passiert ist, denn das war schon weg und wenn das wiederkommt, ist es keine echte Tradition mehr. Das hat auch eine gewisse Berechtigung. Und dieses Abräumen der DDR und stattdessen wieder die preußischen Gebäude aufführen, wie in einem Spiel mit Zinnsoldaten, ist ja auch eine historische Entscheidung. Da wird eine ganz bestimmte Tradition ausgeblendet, für minderwertig erklärt und etwas anderes an die Stelle gesetzt.

Es wird ja vorrangig aus ästhetischen Gründen für minderwertig erklärt: Die Gebäude seien einfach nicht schön gewesen.

Na ja, was heißt schön? Die Schönheit ist eine schwankende Größe. Ich finde auch die Architektur des Potsdamer Stadtschlosses nicht schön. Ich finde, sie ist unproportional – im Verhältnis von Sockelgeschoss und Obergeschoss zum Beispiel. Und wenn man das Ding vergoldet, wird es auch nicht schöner als Architektur. Dagegen hat die DDR doch auch einige Gebäude der klassischen Moderne aufgeführt. Die Fachhochschule ist an sich kein schlechtes Gebäude.

Manchen Befürwortern des Abrisses der FH scheint es aber um ein gewisses ästhetisches Ideal zu gehen, das sich durch Potsdam ziehen soll ...

Das Grundproblem ist, dass jeder Ort in der Stadt im Laufe der Geschichte verschieden besetzt worden ist, man aber nur eine Lösung zu einer Zeit in der Stadt durchführen kann. Welche macht man also? In Potsdam geht es natürlich weit über ästhetische Debatten hinaus. Da ist die Frage: Wem gehört die Stadt? Gehört die den alteingesessenen DDR-Bürgern oder gehört die den Neuankömmlingen mit ihren Stiftungen? Darum geht es.

Und die Schönheit als Reiz einer Stadt?

Bei einer Architektur ist die Schönheit immer nur ein Teil. Das ist bei einem alten Bild anders. Denn das Bild nimmt nicht in Anspruch, den gesamten öffentlichen Raum zu besetzen. Und die Schönheit der Architektur ist nicht abzutrennen von ihrer Nutzung. Was bedeutet die Architektur für die Leute, die da jeden Tag vorbeigehen müssen, da arbeiten müssen? Und architektonisch schöne Lösungen, die nicht zugunsten der Leute funktionieren, die sie nutzen, die sind auch nicht schön. Ich arbeite in einem ganz neu gemachten Gebäude an der Uni Chemnitz. Da sieht man richtig den architektonischen Ehrgeiz, alles in Schwarz, so stellt sich ein Architekt radikale Schönheit vor. Aber Schwarz als flächendeckende raumgebende Farbe ist ein Gewaltakt gegenüber den Leuten, die es jeden Tag damit zu tun kriegen.

In Potsdam hingegen wagt man derzeit kaum architektonisch Neues.

Ich finde es ehrlich gesagt traurig, dass diese Zeit keine eigenständigen architektonischen Ausdrucksmöglichkeiten findet. Es ist nicht mehr der preußische Staat des 18./19. Jahrhunderts. Sondern es ist ein gewandelter Staat. Warum findet der nicht einen eigenen architektonischen Ausdruck?

Was halten Sie denn vom gerade eröffneten Museum Barberini?

Das Barberini scheint mir eine weit bessere Lösung als das Stadtschloss zu sein. Erstens ist es nicht so groß. Das will nicht herrschen. Und es scheint ein gutes Museum geworden zu sein. Auch die ursprüngliche Architektur wurde angemessen für eine heutige Nutzung durchbrochen, der Eingangsbereich etwa erweitert. So etwas kann man machen. Das finde ich nicht so schlimm wie wirklich auftrumpfende Gebäude wie das Stadtschloss oder die Garnisonkirche.

Sie beenden Ihren Essay über Potsdam mit den Sätzen: „Wenn das endlich vereinigte Deutschland je wieder auseinanderfallen sollte: Hier sieht man die Linie vorgekerbt, wo es losgehen wird.“ Warum solche düsteren Aussichten?

Nach dem, was in Europa in den letzten Jahren passiert ist, halte ich es für möglich, dass jeder erreichte zivilisatorische Stand sich wieder auflösen kann und etwas Älteres zum Vorschein kommt. Wie im weitesten Sinn in Jugoslawien.

Sie vergleichen den Krieg in Jugoslawien mit Potsdam?

Ich meine, dass alte Grenzen, wenn der Moment günstig ist, plötzlich wieder da sind, an die man ganz lange nicht gedacht hat. Ich sehe in Potsdam ganz stark diese Frontstellungen. Viel stärker als in Berlin zum Beispiel. In Berlin hat sich das neu amalgamiert. Berlin ist mehr als die Summe seiner Teile. Mir scheint hingegen in Potsdam, dass eine relativ neue reichere Schicht, die sich in Potsdam niedergelassen hat und im Wesentlichen aus dem Westen kommt und auch viel für die Stadt tut, das Heimatgefühl der Alteingesessenen bestreitet. Und Potsdam war offensichtlich auch stärker von der DDR geprägt als andere Städte.

In Ihren Essays heißen Sie einzig das Braunschweiger Schloss für gut. Dort ist hinter der neu errichteten Fassade des einstigen Schlosses eine Shoppingmall errichtet. Ist das Ihr Ernst?

Das habe ich in gewissem Maße aus Trotz gemacht. Eine Shoppingmall ist eine demokratische Einrichtung. Wenn man draußen ist, sieht man die Mall nicht, wenn man drinnen ist, sieht man das Schloss nicht.

Sie meinen: Wenn schon schöne Fassade, dann auch nur Fassade?

Ja, mit der Shoppingmall ist die herrschaftliche Geste wirkungsvoller aufgebrochen, als wenn man einen Landtag hineinsetzt. Einfach, weil mehr Leute reingehen.

Das Gespräch führte Grit Weirauch

Burkhard Müller: Fälschungen, Verwandlungen.Vom schönen Schein der Bilder, Häuser und Menschen. April 2016, ZuKlampen, 256 Seiten, 20 Euro.

ZUR PERSON: Burkhard Müller, Jahrgang 1959, ist Latein-Dozent an der TU Chemnitz und schreibt für die „Süddeutsche Zeitung“und „Die Zeit“. 2008 erhielt er den Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik.

Grit Weirauch

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