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Kultur: Poeten auf Saiten

Stunde der Musik im Nikolaisaal: Saitensprung in Casablanca

Stunde der Musik im Nikolaisaal: Saitensprung in Casablanca Europa schwelgt im Gitarrenfieber. Zumindest im 19. Jahrhundert. Damit das Instrument, als romantische Gefährtin angepriesen, „gehörigen Effekt mache“, empfehlen die „Blätter für Geist und Herz“ anno 1833 „eine gewisse Wahl der Umstände und Örtlichkeiten“. Etwa „einen Herbstabend, ein dunkles Gebüsch, ein nur halb erhelltes Gemach, eine tiefe Stille“. In Spanien zupfte man die Gitarre unterm Balkon oder Fenster der Angebeteten. Don Giovanni oder Lindoro alias Graf Almaviva können noch heute ein Lied davon singen. An einem eher prosaischen Ort, dem Foyer des Nikolaisaals, greifen gleich zwei Troubadoure in die jeweils sechs Saiten der klassischen Konzertgitarre made in Hispania. Es sind Lee Song-Ou und Oliver Fartach-Naini, die mit ihrer Zusammenstellung „Saitensprung in Casablanca“ die leider nur kleine Hörgemeinde in Verzückung bringt. Ihre Zusammenarbeit beginnt 1991 während des gemeinsamen Studiums bei Laurie Randolph an der ehemaligen Hochschule der Künste Berlin. Es folgen Konzerte in Deutschland und Südkorea, der Heimat von Lee Song-Ou. An der Seouler University of Arts ist er inzwischen pädagogisch tätig. Dagegen „beschränkt“ sich Partner Oliver Fartach-Naini momentan aufs Musizieren mit ihm, der Flötistin Thea Nielsen und im Quintett „Tango Concertante“. Beide Gitarristen sind Kammermusiker par excellence. Schier atemberaubend hört sich an, wie sie aufeinander hören, sich ihre Gefühle, Empfindungen und Stimmungen einander mitteilen. Beider Tongebung ist klar und äußerst differenziert, ihre Gestaltung nuancenreich und hervorragend homogen. Wie dabei das Individuelle sich auszudrücken versteht und gleichzeitig feinsinnig zu neuer Gesamtheit verschmilzt, wie sich unterschiedliche Kulturkreise begegnen und einander vortrefflich ergänzen – bewundernswert. Und man kann es genießen. Wie jenes Stück „Minyo 3 Djang“ des Südkoreaners Kim Myong-Phyo (geb. 1947), das auf traditionellen koreanischen Volksmelodien und Rhythmen basiert. Triolenreich, punktiert und pointiert geht es in den drei Sätzen zu. Durch das zarte Zupfen entstehen Klanggespinste gleich filigraner Klöppelspitze. Leben die flinken Ecksätze mit ihrer wispernden und flinkzüngigen Gesprächigkeit von fernöstlichem Idiom, bewegt sich das Andante espressivo in klassischen europäischen Harmonien und im langsamen Dreivierteltakt. Unwillkürlich entsteht eine Stimmung a la Mondlicht über sanft bewegtem See. Ehe sie zum beschworenen „Saitensprung in Casablanca“ anheben, der sich als musikalische Hommage des bolivianischen Komponisten Jaime M. Zenamon (geb. 1953) an den gleichnamigen Film entpuppt und mit Bauchtanzimaginationen nebst sonstigem marokkanischen Flair nicht spart, erweisen sie dem 19. Jahrhundert ihre Reverenz. Und zwar in Gestalt des französischen Tonsetzers Napoleon Coste (1805-1883). Dessen zwanzigminütiges brillant-gefälliges „Gran Duo“ ist eine Ehrerbietung an den Pariser Salon. Der Herausforderung an gitarristisches Können begegnet das Duo mit flexibler und federleichter Tonproduktion, mit hingetupftem singenden Gefühl und einer geradezu berückenden Empfindsamkeit. Alle vier Sätze fangen ganz leise, fast tonlos an. Es scheint, als kultivierten die Künstler – und nicht nur hierbei – das Leise, um es quasi zu ihrem Markenzeichen zu erheben. Doch die Poeten auf Saiten können auch anders. In dem ihnen gewidmeten, fast noch notenfrischen Stück „Set of Dreams“ von Ludger Vollmer (geb. 1961) aus Weimar begeben sie sich auf einen neutönerischen Notenacker, der erfreulicherweise aus eingängigen Melodien besteht. Die vorgezeichneten Furchen ziehen sie mit perkussiver Akribie und Energie präzise nach. Originell anzuhören, wie sich per Saiten ein „Seifenkistenrennen“ (Soap Box Derby) oder durch Klopfzeichen auf die Gitarrenkorpusse der Klang der irischen Trommel Bodhran nachempfinden lässt. Ihrer spielerischen Extraklasse nicht weniger maßgeschneidert ist die vergnüglich anzuhörende Spielmusik „Complicando“ des österreichischen Jazz-Gitarristen Thomas Wallisch (geb. 1973). Doch was schlicht und einfach tönt und vom Primat der Melodie bestimmt wird, ist – wie es der Titel verheißt – durchaus kompliziert. Den beiden nicht. Und auch in der musikalischen Humoreske „Circus Music“ des Italieners Carlo Domenconi (geb. 1947) greifen sie virtuos in die Saiten. Ob nun ein „Entenwettlauf“ beschrieben wird oder „Spanische Reiter auf griechischen Pferden“ sich tummeln (was als köstlicher Tarantellaverschnitt auf Sirtakimousse zu genießen ist) – stets sind wahrlich zirkusreife Gitarrengriffe erforderlich. Das Konzert vergeht wie im Fluge. Was auch an der charmanten Art von Oliver Fartach-Naini liegt, der unterhaltsam von den weithin unbekannten Komponisten und ihren Werken erzählt. Solche moderierten Konzerte haben viel für sich. Dem Musikverstehen können sie nur dienlich sein. Peter Buske

Peter Buske

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