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PNN-Serie - Hinter den Kulissen: Die Kostüme: Ein wilder Hauch von Dederon

Für „Kruso“ arbeitete sich HOT-Kostümbildnerin Marsha Ginsberg durch Fundus und Flohmärkte.

Im Büro der Kostümbildnerin liegt ein Stapel „Sibylle“, Modezeitung der DDR, eine nackte Schneiderpuppe schaut aus dem Fenster, die Regale sind gefüllt mit Modebüchern und Ordnern voller Stoffproben. Aber hier hält sich Marsha Ginsberg zurzeit eher selten auf. Meistens ist sie unterwegs zwischen Fundus und Anprobe, auf den langen Fluren, von denen Türen abgehen zum Schuster und zur Schneiderin. Es sind die Wochen vor einer Premiere, Lutz Seilers Roman „Kruso“, für den der Autor, der in Wilhelmshorst lebt, 2014 den Uwe-Johnson-Preis und den Deutschen Buchpreis erhielt, soll Mitte Januar am Hans Otto Theater in der Adaption von Dagmar Borrmann aufgeführt werden. Seit Wochen schon ist Kostümbildnerin Marsha Ginsberg auf der Suche nach dem perfekten Aussehen für insgesamt 13 Rollen. Perfekt ist es, sagt sie, wenn es ihr gelungen ist, die Informationen, die Buch oder Skript zu einer Rolle liefern, mit der Person des Schauspielers zu verbinden. Ginsberg nennt das den „Es-passt-Effekt“. „Wenn es passt, dann muss der Zuschauer denken: Die hätten nichts anderes tragen können“, sagt Ginsberg.

Bis dahin ist es ein weiter und spannender Weg. Auch Ginsberg weiß erst bei der ersten Hauptprobe, in der die Schauspieler nicht mit Probenoutfits, sondern ihren richtigen Kostümen auftreten, ob alles stimmig ist. Oder ob in den letzten drei Tagen noch etwas verändert werden muss. „Das wird dann ein bisschen stressig“, sagt sie.

Marsha Ginsberg ist freie Kostüm- und Bühnenbildnerin. In New York hat sie Bildende Kunst und Theaterdesign studiert. Sie arbeitet und lehrt in den USA und in Deutschland. Mit Regisseur Elias Perrig hat sie in Potsdam bereits bei drei Inszenierungen zusammengearbeitet, zuletzt beim Theaterstück „Zorn“ von Johanna Murray-Smith. Für „Kruso“ hat Perrig sie wieder in sein Team geholt, für Kostüm und Bühne. Das Bühnenbild, sagt sie, wird aus einer Art Schiff bestehen. Weil die „Klause“, jene Gaststätte auf Hiddensee, in der sich im Roman das meiste abspielt, als ein Schiff beschrieben wird. Ein Rettungsboot, eine Arche, zuletzt auch ein sinkendes Schiff für all die auf der Insel Gestrandeten, Aussteiger, die die DDR – so oder so – hinter sich lassen wollten.

Das Stück spielt im Sommer 1989 und so braucht sie für die Charaktere Kleidung, die nach DDR aussieht. Für die Amerikanerin, die die DDR nur aus Erzählungen kennt, ist das kein Problem, eher aufregendes Neuland. „Vielleicht ist es gut, dass ich weder Ossi oder Wessi bin. Ich bringe den Blick von außen mit“, sagt sie. Einziges kleines Hindernis: Weil Ginsberg nur wenig Deutsch spricht, ist sie auf die Übersetzung des Romans angewiesen. Die offiziell noch gar nicht vorliegt. „Aber ich kenne die damit beauftragte Übersetzerin, sie schickt mir immer gleich, was sie schon fertig hat“, sagt die Kostümbildnerin. „Ed“ bekommt nur ein eher minimalistisches Kostüm, die Barfrau hingegen, die sich gern umzieht, mehrere bunte Kleider und Fummel. Für „Kruso“, den Klausen-Chef, wird das Kostüm angefertigt. Schauspieler Raphael Rubino wird in einen maßgeschneiderten Arbeitsanzug gesteckt. Mit einem langen Reißverschluss von oben nach unten, den er öffnen und dann seine Männerbrust zeigen kann, ganz archaisch. Manchmal wird Kruso, der Utopist, auch nur mit einer Art Wickeltuch um die Hüften erscheinen. „Sein Schurz aus einem rotkarierten Geschirrtuch, der freie Oberkörper, das zum Zopf gebundene Haar – tatsächlich glich Kruso einem Indianer“, heißt es im Roman. Ginsberg kann sich das prima vorstellen.

Natürlich arbeitet sie in enger Absprache mit dem Regisseur und gern nimmt sie Tipps von den Schauspielern entgegen. Außerdem bekommt sie Unterstützung von ihrer Kostümassistentin Birgit Filimonow. Die beiden Frauen gingen zusammen auf Klamottenjagd. Wo bekommt man heute originale DDR-Kleidung her? Schneidern kann man ja alles, sagt Ginsberg, aber das Authentische ist ihr immer am liebsten. Also durchforsteten sie Second-Hand-Läden und das Stiefelkombinat in Berlin. Auch Humana-Läden seien eine wahre Fundgrube für Ausgefallenes, sagt Ginsberg. Und zudem günstig. Es bestehen gute Chancen, dass sie dieses Mal innerhalb des finanziellen Budgets bleiben, sagt sie lachend.

Eine ganze Menge Sachen fanden sie auch im Haus selbst. Ginsberg schwärmt vom Theaterfundus, den Antje Sternberg betreut. Es müssen zigtausende Klamotten und Accessoires sein, die hier nicht nach Größen, sondern nach ihren Merkmalen sortiert hängen. Zum Beispiel zwei Meter „Männerhosen Freizeit hell“. Oder eine Kiste Schwimmflossen. Oder Handschuhe, Krawatten, oder, oder Auf einem Kleiderständer „Reserviert für Kruso“ hängt Ginsbergs Auswahl. Im Ankleideraum hängen bereits komplette Kostüme. Die jetzt noch von der Schneiderin dem Körper des Schauspielers angepasst werden. Für das Stück „Kruso“ ist es eine Sammlung an Scheußlichkeiten aus DDR-Produktion: blasse Hemden aus feingeripptem Dederon, lila Polyester-Spitzen-Unterröcke, gefälschte Marken-Jeans, Pullunder mit Karomuster a là Olaf Schubert. Dazu passende Schuhe. Für die jugendlichen Aussteiger, die auf der Insel landen, hat Ginsberg authentische „Jesuslatschen“ gefunden, minimalistische braune Sandalen, die erst abgenutzt richtig gut aussahen. Und „Tramper“, flache Wildlederschnürschuhe, die damals als Statement galten. Weil man damit unterwegs war – wohin auch immer. Ein Schuhmacher in Potsdam stellt sie immer noch her, sagt Ginsberg begeistert.

Wer selbst hinter die Kulissen des Hans Otto Theaters gucken will: Am heutigen Samstag um 14 Uhr gibt es eine Führung durchs Haus.. Die Teilnahme kostet 3 Euro, um Reservierung über kasse@hansottotheater.de oder Tel.: (0331) 98 11 8 wird gebeten.

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