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Mittagsschlaf oder Rollenspiel. Jan-Kaare Koppe und Eddie Irle (v. l.), Schauspieler am Hans Otto Theater, bringen sich in ihrer Garderobe schon mal in Stimmung für die nächste Probe. Auf dem Kleiderständer hängt das Kostüm für Irle, der John Savage in Huxleys „Schöne neue Welt“ spielt.

© Andreas Klaer

PNN-Serie - Hinter den Kulissen: Am Hans-Otto-Theater: Bei den Frauen riecht es besser

Was machen Schauspieler eigentlich in ihrer Garderobe und wie sieht es da aus? Und warum lieben die Hans-Otto-Theater-Kollegen ihre Kantine? Eddie Irle und Jan-Kaare Koppe klären auf.

Es gibt einen Haupteingang für Theatermitarbeiter, seeseitig, am Pförtner vorbei. Schneller allerdings geht es durch die Kantine. Ab acht Uhr gibt es hier Kaffee und Frühstück, die Techniker sind die ersten Gäste am Tag. Mittags kommen viele aus den umliegenden Büros. Und natürlich sitzen hier Schauspieler, Regisseure, Dramaturgen. Jetzt im Sommer meist auf der Terrasse, Blick auf den Tiefen See. „Es ist traumhaft hier“, sagt Jon-Kaare Koppe, der seit 2009 zum Ensemble gehört.

Auf die Frage nach dem Stellenwert einer Theaterkantine antworten Koppe und Kollege Eddie Irle wie verabredet einstimmig: „Sehr wichtig!“ Es ist wie ein Wohnzimmer mit Gastro-Anbindung, Schnittstelle zwischen Theater und Publikum. Jeder kann hier essen, wenn es ihn nicht stört, dass plötzlich jemand im Kostüm erscheint oder die Ansage tönt: „Herr sowieso, Ihr Auftritt!“

Es gibt zwei Preislisten, eine fürs Haus, eine für Externe. Günstig ist es sowieso. An diesem Dienstag gibt es Eier in Senfsoße, Soljanka, etwas mit Hühnchen und Salat. Koch Alexander von Schmidt kennt seine Leute. Er kocht so, dass für jeden was dabei ist. Und er stellt sich auf den Proben- und Spielplan ein, damit er passgenau liefern kann. Vor allem Kuchen und Bier müssen immer da sein. „Sonst wird es dramatisch“, sagt er. Vorn am Tresen steht, zweimal in der Woche, Christina Gemerski. Die genau weiß, wer seinen Kaffee wie haben will. „Ich finde die verrückten Schauspieler gut“, raunt sie leise und lacht.

Die „verrückten Schauspieler“ sehen sich als Leute mit einem ganz normalen Beruf. Die zwischen Probe und Auftritt schließlich irgendwo bleiben müssen. Wer seine absolute Ruhe haben will, verschwindet dann in der Garderobe. Die überhaupt nicht dem Spielfilmklischee entspricht: kein üppig-plüschiges Interieur mit Glitzer, Glamour und Sektkübel, sondern nüchterne Sachlichkeit. Vier Spinde an der Längswand, dazwischen Tische und Spiegel. Eine Liege, Kleiderständer, Waschbecken, Ganzkörperspiegel. Wer einen Wasserkocher aufs Zimmer will, muss ihn vom Brandschutz genehmigen lassen. Die Wände sind grau, der einfache Teppichbelag ist im verblichenen Rot des Hauses gehalten, die Drehstühle schwarzer Kunststoff, ungepolstert. „Aber bequem“, sagt Irle – der zu den Schauspielern gehört, die sich ganz gern hier aufhalten, mit Kollegen Szenen der Vorstellung durchspielen. Koppe hingegen mag hier nicht länger als nötig sein. Er fühlt sich unten in der Kantine wohler. Irle macht in seiner Garderobe sogar manchmal Mittagschlaf zwischen Probe und Aufführung. Und zum Aufwärmen vor der Vorstellung Liegestütze und Sit-ups. Es gibt auch Kollegen, die dafür einen Boxsack in der Garderobe haben. Und bestimmt mache hier auch irgendeiner Yoga, sagen die Kollegen.

Was aber ist drin im Spind? Bei Eddie Irle sieht es wüst aus, aufgeräumt nach Schwerkraftprinzip, ein Haufen aus Klamotten und Papierkram. Außerdem Tupperdosen und Knieschoner. Im Regal leere Sektflaschen, ein Frisbee. Nichts Pathetisches. Spindnachbar Raphael Rubino erfüllt das Garderobenklischee immerhin zum Teil: Rechts und links am Spiegel kleben Fotos und Postkarten, im Regal stehen Premierengeschenke, Nippes und Schnapsfläschchen mit Kräuselband, ein Stapel Programmhefte.

Dass Frauengarderoben ordentlicher sind, wollen die Männer nicht bestätigen. „Ich finde sie unordentlicher“, sagt Koppe. „Schon in der Schauspielschule war das bei den Mädels immer ein Horror.“ „Aber“, wendet Irle ein, „bei den Frauen riecht es besser.“ Im Hans Otto Theater sind Männer- und Frauengarderoben getrennt. Die Frauen im Erdgeschoss, die Männer im ersten Stock. Das gilt auch für Ehepaare. So könne man notfalls nackig über den Flur zur Dusche rennen. „Wir handhaben das relativ locker“, sagt Koppe. Der allerdings einen Bademantel im Spind zu hängen hat.

Dass es im Theater gern mal wild und ungezügelt zugeht, sei aber wieder ein Klischee. Die Garderobe ist jedenfalls kein Ort für Techtelmechtel – da gibt es andere, sagen die Männer. Die Garderobe ist letztlich ein Arbeitsplatz. Wenn die Schauspieler im Haus ankommen, hat der Ankleider oder die Ankleidefrau bereits das Kostüm auf den Kleiderständer gehängt, Accessoires wie Schmuck oder Schwerter auf den Tisch gelegt. Die Ankleider sind wichtige Leute. Sie haben den Durchblick, wissen, wer was wo braucht. Sie können im Notfall sofort Knöpfe annähen oder einen Hosenbund auslassen, wenn das Kostüm nach den Weihnachtsferien kneift. Und sortieren nach der Vorstellung den chaotischen Haufen schnell vom Leib gerissener Klamotten.

Nach dem Umziehen geht es in die Maske. Alles Persönliche bleibt in der Garderobe. Privatsachen auf der Bühne bringen Unglück, heißt es. Das ist ein Theateraberglaube und es ist durchaus Wahres dran. „Mir ist in einem historischen Stück mal ganz unpassend ein orangenes Tictac aus der Hosentasche gefallen“, sagt Irle.

Drittes Theaterklischee: dass hier nach der Vorstellung Fans, Groupies und Paparazzi an die Tür hämmern. Stimmt auch nicht, sagen die Männer. Am Pförtner kommt keiner vorbei. Nur Familienmitglieder, vielleicht die kleinen Kinder, kommen nachmittags mal zu Besuch. Fans müssen draußen oder in der Kantine warten. „Das finde ich aber gut, wenn Besucher sich nach der Vorstellung zu uns setzen“, sagt Irle. Jetzt im Sommer kann es dann auch mal spät werden, auf der Terrasse mit Seeblick, vielleicht eine der schönsten Betriebskantinen. Bis Koch oder Tresendame drängeln: Wir müssen mal so langsam Schluss machen.

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