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Film oder Volksbühne. Der Schauspieler Alexander Finkenwirth.

© HL Böhme

Kultur: Peer Gynts Bruder

Vier Jahre war er Ensemblemitglied des Hans Otto Theaters: Ein Abschiedstreffen mit dem Schauspieler Alexander Finkenwirth

Die gute Nachricht zuerst. Auf die Frage, was Potsdam denn hätte besser machen können, wie das Theater Alexander Finkenwirth zum Bleiben bewegen hätte können, antwortet der Gefragte: nichts. Die Stadt ist schön, die Theaterleitung hat ihm tolle Rollen gegeben.

Die schlechte Nachricht bleibt trotzdem schlecht. Alexander Finkenwirth verlässt zum Ende der Spielzeit das Ensemble des Hans Otto Theaters. Vier Jahre war er hier. „Eine ganz gute Zeit für ein erstes Engagement“, findet er. Andere ziehen nach ein oder zwei Jahren schon weiter. Er blieb länger. Aber jetzt ist es Zeit.

Alexander Finkenwirth ist ein höflicher Gesprächspartner. Bescheiden, überlegt und spürbar dankbar gegenüber einem Theater, das ihn direkt von der Babelsberger Schauspielschule weg zu Beginn der Spielzeit 2012/2013 engagierte. Alexander Finkenwirth ist keiner, der sagen würde: Ich will an den besten Häusern der Republik spielen, nicht vom Tellerrand aus zugucken! Nein, er ist da anders. Er sagt: „Die Entscheidung, jetzt aus Potsdam wegzugehen, war letztlich intuitiv. Einfach mal raus.“

War es eine Entscheidung für den Film? Er hatte zuletzt mit Fernsehrollen auf sich aufmerksam gemacht. War 2014 für den renommierten Max-Ophüls-Nachwuchspreis nominiert, war als Junkie im Kieler „Tatort“ zu sehen und kürzlich im April auch im „Polizeiruf“. Danach mehrten sich die Filmangebote, er musste einige ablehnen: wegen der Ensembleverpflichtung in Potsdam. Aber auch wenn die jetzt wegfällt und er erst mal mehr drehen wird, sieht Finkenwirth seine Zukunft nicht allein im Film. Im Gegenteil. „Ich hätte schon große Lust, wieder fest in einem Ensemble zu spielen.“

Wir treffen uns in Berlin, wo Alexander Finkenwirth wohnt. Genauer: Wir treffen uns in einem Café gegenüber der Berliner Volksbühne, ausgerechnet. Also, alle Bescheidenheit beiseite: Welches Ensemble dürfte es denn sein, idealerweise? „Ein großes Haus wäre schon interessant, neue Kollegen, neue Ästhetiken ...“ Deutsches Theater oder Schaubühne? Finkenwirth spielt das Spiel mit und deutet hinter sich. „Dann eher die Volksbühne.“ Lachen. Ja, nur Spaß. Wie gesagt: Er ist bescheiden. Aber die Stücke von René Pollesch, vor allem dessen Arbeit mit dem Schauspieler Fabian Hinrichs, begeistern ihn. Die Selbstbefragung der Figuren, die Suche nach Authentizität. Als er 2008 nach Berlin zog, ging er zunächst viel ins Deutsche Theater, sah Jürgen Goschs „Möwe“, Michael Thalheimers „Ratten“. Diese Stücke entflammten ihn für das Theater. Zuhause in Frankfurt am Main hatte er wenig gesehen. Zuhause ging man nicht ins Theater.

Als Alexander Finkenwirth 2012 Ensemblemitglied in Potsdam wurde, war er anfangs zeitgleich noch Schüler der Filmuniversität „Konrad Wolf“. Leben und Theater waren damals quasi das Gleiche für ihn. Er stürzte sich in diese neue Arbeit, die sein Leben war, ohne Filter, ohne Bremse. Das war manchmal grenzwertig, führte in Stressphasen zu Erschöpfung. „Dass Theaterspielen auch Spaß bedeuten kann, musste ich irgendwie erst lernen“, sagt er heute. Damals war er immer, in jeder Aufführung, in jeder Probe, voll da. Er ist es noch. Nur dass er heute versucht, ein bisschen besser zu dosieren, die Kräfte einzuteilen. Sich nicht emotional voll in eine Figur hineinzuwerfen, sondern auch mal kühlen Kopf zu bewahren. Eher der Puppenspieler hinter der Figur zu sein.

Dass das gelingen möge, wünscht man ihm – und wünscht es sich, wenn man ehrlich ist, auch nicht. Denn damals wie heute ist das Bezwingende an seinem Spiel, dass man hier jemandem dabei zusieht, wie er sich verschwendet. Der Zuschauer ist ja ein grausames Tier, er liebt es, wenn andere sich erschöpfen. Und Finkenwirth erschöpft sich. Ringt mit sich. Um den richtigen Ton, die richtige Lautstärke, um so etwas wie Wahrheit. So groß sagt er das natürlich nicht. „Man spielt“, sagt er, „letztlich für die wenigen Momente, die man sich glaubt.“ Das genaue Hinhören, das Ohr für Sprache und Rhythmus, ist eine zweite, seltene Stärke von Alexander Finkenwirth. Ob in Goethes „Tasso“ (2013, Regie Tina Engel) oder jüngst in Ibsens „Peer Gynt“ (Regie Alexander Nerlich), er spricht Verse ohne Anstrengung. Mit Luft und Eleganz. Scheint darin zu Hause zu sein. Woher kommt das? Als er noch die Zeit hatte, rappte er. Schrieb selbst Texte, schrieb auch Gedichte, erzählt er. Eine bessere Schule kann es offenbar nicht geben.

Die Suche nach Wahrheit, diesem dehnbaren, glitschigen Ding, zog sich durch viele seiner Potsdamer Rollen. Für den aufrichtigen Wiggo in Tellkamps „Eisvogel“ (2012, Regie Stefan Otteni) ist das offensichtlich. Ebenso für den notorischen Wahrheitsforscher Hamlet (2015, Regie Nerlich) und den Richter in Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ (2016, Regie Niklas Ritter). Vielleicht noch interessanter aber war diese Suche da, wo es zur Wahrheit einer Figur gehörte, dass sie die Wahrheit nach Leibeskräften verschleiert. Wie in „Waisen“ (2012, Regie Otteni), seinem Bühnendebüt als Potsdamer Ensemblemitglied. In dem Stück von Dennis Kelly spielte er Marco, der eines Abends blutverschmiert bei seiner Schwester auftaucht und anderthalb Stunden brauchen wird, um zuzugeben, dass er einen Jungen fast zu Tode gequält hat.

Peer Gynt, die letzte große Rolle in Potsdam, braucht sogar ein ganzes Leben voller Lügengespinste, um zu etwas wie Wahrheit vorzustoßen. „Peer Gynt ist so, wie ich gerne sein möchte“, sagt Alexander Finkenwirth. „Diese Suche nach Authentizität. Ich verändere mich auch gerne für andere, möchte geistig mobil bleiben. Peer ist nichts Menschliches fremd. Das ist mir nahe. Vielleicht sogar der Grund, warum ich diesen Beruf ausübe.“ Marco und Peer: Damit schließt sich für Alexander Finkenwirth der Potsdamer Kreis.

Oder fast. Denn die allerletzte Potsdamer Rolle wird der Lysander sein, in Shakespeares „Sommernachtstraum“. Premiere ist am 17. Juni (Regie Kerstin Kusch). Eine kleinere Rolle, die Lacher haben in dem Stück andere auf ihrer Seite. Aber davon, dass Lysander rollentechnisch ein Langweiler sei, will der höfliche Alexander Finkenwirth nichts hören. Und genau besehen ist der Part des feurig Verliebten vielleicht tatsächlich eine angemessene Entspannungsübung zum Abschluss der Potsdamer Lehrjahre: die Gelegenheit, um noch einmal ausgiebig Verse abzuschmecken. Lena Schneider

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