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Bekennt Farbe. Und fordert es von anderen Muslimen ein: Sineb El Masrar.

© privat

Kultur: Passt der Islam hierher?

Das fragte eine hitzige Debatte in der Reithalle

Der Saal war voll, aber ein Stuhl blieb leer in der Reithalle. Ein wesentlicher Stuhl. Petra Bahr, designierte Regionalbischöffin in Hannover, hatte ihre Teilnahme für den Montagabend zugesagt, erschien aber nicht. Dabei hätte die evangelische Theologin sicher einiges beizutragen zu dem Thema, das als „Gretchenfrage“ angekündigt worden war: „Passt der Islam zur offenen Gesellschaft?“

„Anders als du glaubst“, so heißt das Potsdamer Begleitprogramm der Wanderausstellung „Weltreligionen – Weltfrieden – Weltethos“, die gerade in der Stadt- und Landesbibliothek Station macht. HOT-Dramaturg und Moderator Christopher Hanf erklärte das Motto für doppelt, nein dreifach gültig: Denn auch ein weiterer Gast, Ender Cetin, Vorsitzender der Berliner Sehitlik-Moschee, ließ sich entschuldigen. Er wurde durch seine Frau, die Politologin Pinar Cetin, vertreten. Neben Cetin saß die Publizistin Sineb El Masrar auf dem Podium, die jüngst das Buch „Emanzipation im Islam“ vorlegte. Zwei Frauen wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Dennoch, dass die „Gretchenfrage“ nun von zwei Muslimas allein diskutiert werden musste: nicht gerade eine glückliche Konstellation.

Alles lief also ein bisschen anders als geglaubt bei der sechsten Ausgabe der „Stadt der Zukunft“, die den Rahmen bildete. Was auch anders lief als sonst: Es wurde heftigst diskutiert. Vor allem in der letzten Stunde, im Austausch mit dem Publikum. Nach dem bewusst polemischen Auftakt – einer Szene aus dem Stück „Geächtet“, in der ein Moslem sagt, der Stolz auf den 11. September liege ihm in den Genen – kamen Cetin und El Masrar zu Wort. Während Cetin sehr persönlich beschrieb, warum sie sich als Jugendliche bewusst fürs Kopftuchtragen entschieden habe („Es diente der Klärung: Wer bin ich?“) und erklärte, was den Islam für sie selbst ausmacht (Güte und Gerechtigkeit), betonte El Masrar zunächst: Es gibt so viele Spielarten des Glaubens wie Gläubige. Um dann zu einer Feststellung zu kommen, die zum Mantra des Abends wurde: Moslems müssten sich aus der Schockstarre befreien, in der sie sich angesichts des medial omnipräsenten Missbrauchs des Islams durch terroristische Gruppen befänden. „Wir müssen Farbe bekennen“, sagte El Masrar  immer wieder. „Klar sagen, wen und was Moslems unterstützen – und wen nicht.“ Das ging auch gegen Cetin und ihren Mann, der 2014 ein Treffen zwischen Homosexuellen und Moslems in seiner Moschee erst initiiert und dann abgesagt hatte. Man habe nicht den Eindruck erwecken wollen, dass sie als einzelne Moschee den Glauben neu erfinden wollten, erklärte Pinar Cetin. Homosexualität ist im Islam verboten – und doch zu tolerieren.

Die Frage nach dem Umgang mit Schwulen kam aus dem Publikum. Hier brauste das in zwei Lager geteilte Publikum zum ersten Mal auf: die einen in Empörung über die als „Schönfärberei“ empfundenen Darstellungen auf dem Podium – die anderen über Kommentare wie den, dass man sich nicht mehr sicher fühle, seitdem „die Grenzen geöffnet wurden“ (gemeint war 2015). Ein junger Mann erzählte, seine Freundin, blond, sei vor Kurzem auf der Straße angegriffen worden – was ihr „davor in 30 Jahren nicht passiert“ sei. Die dahinter stehende Frage, die der Mann so nicht formulierte: Müssen wir damit, mit Spielarten der Geschehnisse in Köln, jetzt öfter rechnen?

Wenn Dinge schieflaufen, dann ist nicht eine Religion daran schuld, sondern der Mensch, der sie lebt, sagte Cetin. Dennoch: Da können Statistiken noch so sehr das Gegenteil – sinkende Kriminalität – belegen. Wen einmal das Virus der Angst erfasst hat, der wird überall nur „Lügen“ wittern. Auch das wurde am Montag überdeutlich. „Wenn Sie mir nicht glauben wollen, dann weiß ich nicht, warum Sie mich fragen“, sagte Cetin einem Zuschauer. Die Stimme einer Petra Bahr hätte sicherlich die eine oder andere Woge glätten können. Andererseits: Gerade in diesem ungebremsten Aufeinanderprallen verschiedenster Welten wurden die tiefen Gräben offenbar, die sich durch die Gesellschaft ziehen. Auch durch Potsdam.Lena Schneider

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