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Mark (Frederick Lau) und Helena (Nora Tschirner) gehen einen Pakt ein: Gemeinsam wollen sie vom Alkohol loskommen.

© dpa/-

„One for the Road“ im Kino: Nach dem Bier ist vor dem Bier

Kann man eine Komödie über Alkoholsucht drehen? Markus Goller hat es mit „One for the Road“ versucht: etwas moralisch zwar, aber durchaus auch als Kritik an einem gesellschaftlichen Tabu.

Von Andreas Busche

Nachts schimmert der Innenraum der Bar fast wie ein Aquarium; nur dass die Flüssigkeit, in der die Nachtschattengewächse sich treiben lassen, kein Wasser ist. Am Anfang von „One for the Road“ taumelt Mark, gespielt von Frederick Lau, völlig entgrenzt aus der Tür in die Nacht. Da steht er kurz etwas wacklig auf den Beinen: ein Fisch aus dem Wasser. Auch sein Erinnerungsvermögen ist das eines Goldfischs. Am nächsten Morgen kann er sich nicht mehr daran erinnern, wie er nach Hause gekommen ist. Geweckt wird er vom Qualm aus dem Backofen, in dem die Pizza verbrennt, die er in der Nacht im Vollrausch noch eingeworfen hat.

Doch das muss man Mark lassen: Seine Feinmotorik funktioniert auch nach überdurchschnittlichem Alkoholkonsum noch hinlänglich. Rückwärts einparken: kein Problem. Alles muss schließlich seine Ordnung haben, immerhin leitet Mark tagsüber eine Großbaustelle. Dumm nur, dass, als er gerade hinterm Lenkrad sitzt, um eine kleine Parkkorrektur vorzunehmen, zwei Polizisten neben ihm stehen.

Das Leben hinter einer Glasscheibe

Den Führerschein ist er erst mal los, seine Bewährung muss er in einer Medizinisch-Psychologischen Untersuchung bestehen, wo er auf andere trifft, die mit dem Alkohol so ihre Probleme haben – und aus allen gesellschaftlichen Schichten kommen. Vor dem Gesetz sind alle gleich.

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Das Bild, das Leben wie durch eine Glasscheibe zu beobachten, ist eine der offensichtlichen Metaphern in Markus Gollers dritter Regiearbeit mit seinem Autor Oliver Ziegenbalg. Genauso wie der Vogel, der sich in Marks Apartment verirrt hat und panisch gegen die Fensterscheibe anfliegt. Er bekommt den Vogel schließlich zu fassen und entlässt ihn in die Freiheit. Mark hingegen braucht danach noch einige Anläufe, um seine Freiheit zu finden.

Der Blick von außen durch die Glasfassade in die erleuchtete Bar hinein, wo sich seine Freunde und Saufkumpane amüsieren, wird gespiegelt in Marks Blick durch sein Wohnzimmerfenster auf das Hallesche Tor in Kreuzberg – meist mit einer Flasche in der Hand. Die Momente der Nüchternheit wechseln sich in „One for the Road“ ab mit Phasen der Klarheit: das Hoch in dem Glauben, den Alkohol im Griff zu haben. Bis zum nächsten Absturz.

Freiheit des Exzesses

Ist das ein Komödienstoff? Und kriegt man diese Geschichte ohne die banalisierende Küchenpsychologie erzählt, dass jede Sucht einen traumatischen Kern hat – und nicht auch eine Folge sozialer Konditionierung sein kann? Maßstab ist Thomas Vinterbergs „Der Rausch“, der zumindest ansatzweise die Freiheiten des alkoholisierten Exzesses (beziehungsweise des gesellschaftlich sanktionierten Zulötens) zu eruieren versucht.

Aber nicht mal der Skandinavier (an sich?), dem Alkohol kulturell – so will es das Klischee – nicht abgeneigt, kommt in einem letzten Schlenker nicht um ein moralisches Urteil herum. Dass Alkohol eine Droge ist und eben kein Ausdruck von Selbstbestimmung, macht Goller in „One for the Road“ hinreichend klar. Dass das Thema weitreichend tabuisiert wird, statt Alkoholsucht als Krankheit zu entstigmatisieren, auch. Und so schwingt bei den „Befreiungsversuchen“ mit der Flasche immer eine leichte Melancholie mit.

Marks Kumpel Nadim (Burak Yiğit) steht irgendwie auf der Seite der öffentlichen Moral, wenn er seinem Kumpel vorhält, er wäre doch kein Student mehr. Und man kann es ihm nicht verdenken, nachdem Mark in einer durchzechten Nacht auf das Erbstück seiner Freundin (Friederike Becht) gepinkelt hat, weil er den Sessel für eine Toilette hielt. Nadim hat sich mit seiner Freundin allerdings auch eine Holzhütte am See gekauft, seine Form der neuen Bürgerlichkeit ist etwas wohlfeil.

Mark (Frederick Lau) führt Buch über seine Nüchternheit.

© SONY PICTURES

Die Grundschullehrerin Helena (Nora Tschirner), die Mark bei seinen MPU-Treffen kennenlernt, hat – wohnsoziologisch und modisch – eine andere Sozialisation hinter sich, irgendwo zwischen Art Hausbesetzerin und shabby chic. Für einen deutschen Film legt „One for the Road“ auf solche biografisch-szenischen Details großen Wert, auch wenn die Dramaturgie im Gegenzug etwas grob geschnitzt daherkommt.

Dass Mark die Wette mit Nadim, dass er es schafft, drei Monate trocken zu bleiben (bis er seinen Führerschein zurückbekommt), nicht gewinnen kann, solange er sehnsüchtig durch die Scheiben des Aquariums blickt, in dem der Alkohol fließt, ist gewissermaßen eine Konvention des Suchtdramas.

Der Weg dahin ist bis zu einem gewissen Grad rührend-kitschig, obwohl Lau (aus dessen eloquenten Stirnfalten eine permanente Überforderung von der Realität spricht) und Tschirner (stimmungstechnisch wie immer verlässlich zwischen ostentativ depressivem Gothgirl und lakonischer Kodderschnauze) über keinerlei Chemie verfügen.

Doch ihre atmosphärische Gegensätzlichkeit entbehrt nicht einer reizvollen Renitenz. Vor allem aber muss man „One for the Road“ zugestehen, dass Goller sich nicht damit begnügt, übermäßigen Alkoholkonsum auf psychologische Erklärungen herunterzubrechen, sondern ihn als Gesellschaftskrankheit begreift.

Da kann man in der Feierrunde unter Freunden vielleicht seine Witze über einen Psychotest reißen, der die Anwesenden in Alpha-, Beta-, Gamma-, Delta-Alkoholiker unterscheidet. Aber am Ende sitzen sie doch alle im selben Aquarium. Der einzige Unterschied besteht lediglich in der Uhrzeit, zu der man nach Hause wankt.

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