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Kultur: Nihilistische Dämonen oder Das endgültige Nein zu Gott

In der Arche: Vortrag von Peter Spieles über Fjodor Dostojewski und dessen Roman „Dämonen“

In der Arche: Vortrag von Peter Spieles über Fjodor Dostojewski und dessen Roman „Dämonen“ Solange das „sogenannte Böse" in der Welt ist, wird man wohl auch über den russischen Schriftsteller Dostojewski (1821-1881) streiten. Vornehmlich über seine „Dämonen“, wo er die verheerenden Folgen des Abfalls der Menschen von Gott modellhaft beschreibt. Thomas Mann hielt die zentrale Figur Stawrogin, dem es auf teuflische Art gelingt, eine ganze Kleinstadt in Chaos zu stürzen, sogar für „die anziehendste Gestalt der Weltliteratur“. Das Böse ist ein gewaltiger Magnet, und wer es, im Suchen und mit Qualen beschreibt, dem ist die Aufmerksamkeit der Nachwelt gewiss. Unter dem Titel „Die Macht des Nichts und die Verfehlung menschlicher Existenz“ gab Peter Spieles seine Interpretation dieses vom Autor ausdrücklich als „Pamphlet-Roman“ bestimmten Werkes (1869 bis 1871 meist in Dresden verfaßt). Ihm saß ein kundiges Publikum gegenüber – der Russe verstand es, sämtliche Plätze der „arche“ zu füllen. Der Redner selbst leistet im Auftrage des Erzbistums Berlin seit diesem Jahr Stadtkirchenarbeit in Potsdam. Was ihn an den „Dämonen“ (Originaltitel „Böse Geister“) so sehr interessiert, ist also die „Macht des Nichts“, ein Thema, das schon die „Existenz-Philosophie“ der Nachkriegszeit heftig umtrieb. Ob es das gibt, bleibt unbewiesen, doch böse Geister sind zu allen Zeiten unterwegs, Menschen zu fischen, wie eben Stawrogin („Symbolgestalt für das Nichts“) und seinen Kreis, wie jenen Gerasener, dem Jesus nach Lukas 8 die Besessenheit aus dem Leibe trieb: Die Legionen des Bösen schlüpften in Säue und stürzten sich in die See, wo alles „ersoff“ - endliche Wesen, betonte der Redner. Dostojewski stellte dieses Bibelzitat seinen „Dämonen“ voran. Spieles lag an einer „religiösen Lesart“ nach Art des Theologen Nigg (1903-88), trotzdem verknüpfte er des Autors Vita und Denken zuerst mit der gesellschaftlichen Situation in Westeuropa um 1870, wohin es diesen nach langer Haft in einem sibirischen Arbeitslager zweimal zog, damit er sähe, wie dort „der Sozialismus“ verwirklicht würde. Die allgewärtige Gottlosigkeit, besonders bei der Pariser Kommune, entsetzte ihn. Er reagierte darauf mit opulentem Panslawismus, später mit rein slawischer Gläubigkeit („russischer Christus auf russischer Erde“). Der zweite Impuls kam von der Moskauer Netschajew-Affäre (1869-1871), aus der sich seine diabolischen Romangestalten formten, Bakuninsche Anarchisten ohne Skrupel am Zerstören und Töten. Spieles hielt sich an die Figur des Kinderschänders und Anstifters Stawrogin (das bedeutet „vom Kreuz“), von dem Dostojewski sagte, er hätte ihn aus seinem Herzen genommen. Als Bekenner zum Bösen drängte ihn zwar ein kalter Trieb, „ans Leben zu greifen“, doch ein Geistlicher namens Tichon trägt ihm den Weg zur Rettung an: Wenn Christus alle Übel der Welt auf sich nimmt, gäbe es (angeblich) „keine Sünde, die nicht verziehen werden“ könne. Stawrogin, man darf das in die Gegenwart tragen, will aber nicht erlöst werden. Erst dieses schwerwiegende Nein, der endgültige Abfall von Gott, sei der Seele Verderbnis. Nun bindet kein moralisches Gesetz mehr wirklich, ohne Gott scheint alles erlaubt. Tod, Zerstörung und Chaos müssen folgen. Im Menschen selbst ist nur noch „Leere“. Für den gottsuchenden Dostojewski war der Nihilismus-Pseudonym für Sozialismus und Anarchismus – das Grundübel der Neuzeit, und tatsächlich führt solche Lesart zur heutigen Unordnung hin. Untersuchungen lassen den 11. September 2001 im Lichte blinder Zerstörung durch nihilistische Dämonen erscheinen: „Religiöse Motivationen töten gezielt“, so der Redner. Ein lange währendes Thema, bis dahin ein dämonisch aktueller Roman. Gerold Paul

Gerold Paul

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