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 „Carcaça“ von Marco da Silva Ferreira

© José Caldeira

Neue Akzente beim „Tanz im August“: Ricardo Carmona bringt aufregende Newcomer nach Berlin

Percussion, Elektronik und turbulente Stunts: Bei den diesjährigen Tanzfestivals reagieren internationale Choreograf:innen auf die Krisen unserer Zeit.

Von Sandra Luzina

Tanz bewegt und erweitert den Horizont! Das lässt sich bei den Sommer-Festivals erleben, bei denen sich Choreograf:innen aus aller Welt ein Stelldichein geben. Die Aufführungen bieten nicht nur eine sinnliche Erfahrung, sie reagieren auch auf eine zunehmend digitalisierte Welt und zeigen eine Vielfalt an Perspektiven auf.

Ein Abstecher in die am Tiefen See gelegene fabrik Potsdam lohnt sich eigentlich immer. Noch bis zum 11. Juni finden hier die Potsdamer Tanztage 2023 statt. Das Festival für zeitgenössischen Tanz präsentiert in seiner 33. Ausgabe zwölf Produktionen. Die Choreograf:innen kommen diesmal aus Palästina, Deutschland, dem Senegal, der Elfenbeinküste, Kanada, Belgien, der Tschechischen Republik, Frankreich und Schweden. Sie setzen sich in ihren Arbeiten auf ganz unterschiedliche Weise mit den Krisen unserer Zeit auseinander.

LED-Lampen als Erweiterungen der Körper: „Moving in Concert“ von Mette Ingvartsen.

© Marc Domage

Eröffnet wurde das Festival von Mette Ingvartsen, die ihr Stück „Moving in Concert“ auf der großen Bühne des Hans-Otto-Theaters zeigte. Die dänische Choreografin ging der Frage nach, inwiefern Technologien noch in unseren Körpern aktiv sind, auch nachdem schon alle Geräte abgeschaltet wurden. Ein politisches Statement ist „Every Minute Motherland“ (9.– 10. Juni) von Maciej Kuźmiński. Der polnische Choreograf hat es mit geflüchteten ukrainischen Tänzer:innen erarbeitet und zeigt, wie sich das Grauen des Krieges in die Körper einschreibt.

Das Grauen des Krieges: „Every Minute Motherland“ mit geflüchteten ukrainischen Tänzer:innen.

© Mariusz Marciniak

Street Dance trifft Folklore

Ein vielfältiges und dichtes Programm bietet auch der Tanz im August. Das vom HAU Hebbel am Ufer organisierte Festival bespielt vom 9. bis 26. August mehrere Berliner Bühnen. Man darf gespannt sein, welche Akzente der neue künstlerische Leiter Ricardo Carmona setzt. Der Portugiese hat sich jedenfalls vorgenommen, einige aufregende Newcomer nach Berlin zu holen. Eröffnet wird das Festival mit „Carcaça“ von Marco da Silva Ferreira.

Marco da Silva Ferreira erkundet in „Carcaça“, wie kollektive Identität entsteht.

© José Caldeira

Der Portugiese hat sich mit urbanen Tanzstilen mit afro-amerikanischen Einflüssen beschäftigt. Ein zehnköpfiges Ensemble, live begleitet von Percussion und Elektronik, kombiniert zeitgenössischen Street Dance mit überlieferten Folkloretänzen. Da Silva Ferreira erkundet in dem Stück, wie eine kollektive Identität entsteht – und wie sich Traditionen im Zusammenhang mit Kolonialismus verändern.

Rhythmus, Bewegung, Energie

Das dreiköpfige Kollektiv (La)Horde hat 2019 die Leitung des Ballet National de Marseille übernommen – und sorgt seitdem für Furore. In ihren turbulenten Performances treten Horden jeden Alters auf. In „Age of Content“ setzt sich das Trio mit der Wirkmacht des Virtuellen auseinander. Die Choreografie verbindet unterschiedliche Einflüsse von Actionfilmen bis zu Musicals. Die unerschrockenen Tänzer:innen erproben Tanzstile, die bereits viral gingen, und wagen auch einige Stunts.

Freuen darf man sich auf ein Wiedersehen mit Serge Aimé Coulibaly und dem Faso Danse Théâtre. Der aus Burkina Faso stammende Choreograf hat sein neues Stück „C'est la vie“ für sieben Tänzer:innen und zwei Musiker geschaffen. Es ist ein Aufbruch nach den Einschränkungen der vergangenen drei Jahre – und eine Aufforderung, sich den Freuden des Lebens zu widmen. Rhythmus, Bewegung, Energie: Auf überschwängliche Weise zelebriert die Gemeinschaft ihr Zusammensein.

Mit Kat Válastur präsentiert der Tanz im August eine der aufregendsten Choreografinnen der Berliner Tanzszene. Zu „Strong-Born“ ließ die Griechin sich von der Tragödie „Iphigenie in Aulis” von Euripides inspirieren. Die drei Tänzerinnen, begleitet von der Schlagzeugerin Valentina Magaletti, produzieren selber Klänge in diesem zeitgenössischen Ritual. Die Opfergeschichte deutet Válastur um in eine Erzählung von Widerstand und weiblicher Selbstermächtigung.

Das Staatsballett Berlin auf neuem Terrain

Das Staatsballett Berlin wagt sich zum Ende der Spielzeit auf neues Terrain. Die Compagnie wird in einer Koproduktion mit der Pina Bausch Foundation zum ersten Mal ein Werk der legendären Choreografin interpretieren. „Das Frühlingsopfer“ zu Musik von Strawinsky hat Bausch 1975 für das Wuppertaler Tanztheater kreiert. Ehemalige und noch aktive Tänzer:innen des Wuppertaler Ensembles werden das Stück in Berlin einstudieren (Premiere am 10. Juni in der Berliner Staatsoper).

Kombiniert wird „Das Frühlingsopfer“ mit Marco Goeckes Tanzstück „Petruschka“, das 2016 für das Ballett Zürich entstand. Der Choreograf sorgte jüngst für einen Skandal: Er hatte eine Kritikerin Hundekot ins Gesicht geschmiert. Einige Compagnien haben daraufhin seine Werke vom Spielplan genommen. Es ist eine mutige Entscheidung, dass das Staatsballett an der „Petruschka“-Premiere festhält. Person und Werk zu trennen, ist richtig. Den Zuschauern bietet sich nun die Chance, sich selbst ein Bild davon zu machen, was Marco Goecke als Choreografen auszeichnet.

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