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Kultur: Nächster Halt im Zentrum

Translokationen: Architektur der Nomaden

Der Alte Markt ist nicht irgendein Platz. Er ist, wie Rainer Fürstenberg, Initiator der Skulpturenschau „Translokationen - Architektur der Nomaden“ sagt, „das Herz Potsdams“. Wer sich hier zum Thema Architektur äußert, noch dazu im Veranstaltungsjahr des Kulturlandes Brandenburg zur Baukultur, riskiert eine Menge.

Nikolaikirche, Fortunaportal und Altes Rathaus und der Obelisk sind beeindruckende Bauwerke. In ihrer Nähe wirken selbst die mehrere Meter hohen Kunstwerke wie zerbrechliche Streichholzkonstruktionen. Sie werden förmlich verschluckt von der Residenzarchitektur, die aussieht, als wäre sie für die Ewigkeit geschaffen. Selbst ohne das Stadtschloss, dessen Wiederaufbau Rainer Fürstenberg persönlich für eine „fürchterliche Geschichtsklitterung“ hält.

Die Gruppe von sechs Künstlern aus Brandenburg, die hier fünfzehn Ideen auf die riesige Fläche verteilen, wollen in die lange Potsdamer Architekturdiskussion um die verlorene Mitte aber gar nicht eingreifen. Es geht, so Fürstenberg, um viel globalere Themen und „die einzelne Lesweise der Kunstwerke“. Indirekt jedoch dienen die gezeigten Reflexionen über das moderne Nomadentum, das sich aus entwurzelten und heimatlosen Individuen speist, doch zu einem Kommentar des historisierenden Schaubauens. Da fährt Raiko Epperlein seinen Ammoniten auf den Platz. Der Form nach eine mannshohe Muschel, Relikt aus der Kreidezeit, in der sie einem Kopffüßler als Wohnstätte diente. Epperleins wackelige Anhängerkonstruktion ist nicht steinern, sondern aus verrostetem Eisen. Dieses moderne Fossil bietet keinen Schutz und wird sicher nicht lange überdauern. Sieht so nicht eher die Realität der menschlichen Behausungen aus?

Das große rosafarbende Iglu von Alexander Clos geht über die Präsentation einer schönen Form hinaus. Die genial einfach aus Mineralwasserkästen einer bekannten französischen Trendmarke erbaute Halbkugel ist für Clos auch ein Sinnbild für den modernen Habenichts. Für die entliehenen Kästen bekommt der Hausbauer einen Pfandschein, den er bei Weiterreise wieder einlösen kann. Der Bewohner hat zwar keinen materiellen Verlust. Schutz gewährt ihm die löchrige Hütte allerdings auch keinen.

Anna Arnskötters Terracottafigur „Passage“ kämpft in ihrer Turmform in direkter Konkurrenz mit dem Obelisk. Sie ist mit 70 Kilogramm Gewicht auf einem Edelstahlpodest auch gar nicht so klein. „Weiß“, sagt die Künstlerin mit Atelier in der Groß-Glienicker Panzerhalle, „ist einfach die beste Farbe für Architektur“. Sie gehe in die Höhe und sei so klar. Arnskötters Treppenturm beantwortet die Frage nach einem Aufenthaltsort philosophisch. In ihr gibt es nur Treppen und Höhe, keinen Wohnraum.

Grenzenlose Mobilität kann jeden festen Standpunkt verhindern. Rainer Fürstenberg holt ironisch Produkte der weltweiten Arbeitsteilung zurück ins Land. Aus einem Fahrrad, einem Sonnenschirm und einem Liegestuhl aus chinesischer Produktion hat er ein freches Symbol und gleichzeitig ein schnittiges Modegerät entwickelt, das auf dem Platz gleich ausprobiert werden kann. Mit der Rikscha „Penguiweg“ flüchtet es sich sehr angenehm vor der Globalisierung.

Die rostige Skulpturenfamilie von Volker Kiehn karikiert den Glauben an die durch Virtualität und Moderne scheinbar aufgehobenen Naturgesetze. Seine mächtigen Stahlquader fahren auf schweren Steinrollen. Wie eine Entenfamilie, denkt man beim Titel „Ausflug auf dem Lande“. Doch die Idylle täuscht, der Untergang liegt nahe. So wie bei seinem Faltboot, ebenfalls aus Stahlblech wie Papier zusammengelegt. Einfach nur treiben lassen? Wer das versucht, hat verloren.

Die hier ausgestellten Werke beinhalten eine humoristische Zivilisationskritik. Sie sind hintersinnig, sehr greifbar und nehmen sich selbst nicht zu ernst.

Die Skulpturen gehen, wie die Nomaden, auf Reisen durch Brandenburg. Zunächst nach Niedergörsdorf, dann nach Strohdehne. Matthias Hassenpflug

Eröffnung: Fr. 7.4., 20 Uhr, auf dem Alten Markt zu sehen bis 23.4.

Matthias Hassenpflug

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