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Lockerer Alltag. Das Wandfries „Potsdamer Alltag“ schmückte nach 1966 das Tanzfoyer des Kulturhauses Hans Marchwitza und sollte sich in die entspannte Atmosphäre einfügen.

© Ausschnitt/Michael Lüder

Kultur: Mit dem Skalpell ans Bild

Deutungshoheit und Restauration: Ein Gespräch über „Potsdamer Alltag“ von Werner Nerlich im Potsdam Museum

Eine schöne Geschichte aus dem Kosmos sozialistischen Lebens: Junge, wohl geratene und gut gekleidete Menschen posieren vor der Fassade von neu entstandenen Bauten. Wie sehr das Bild des als klassischer Fries angelegten Wandbildes „Potsdamer Alltag“ von Werner Nerlich der damaligen Zeit verhaftet ist, zeigt sich in der Gesamtkomposition und in vielen Details. Doch wie sehr um die Deutung – und Bedeutung – des Bildes noch immer gerungen wird, zeigt ein Wortwechsel, der sich, nur kurz zwar, aber dennoch erhellend am Rande eines Vortrags am Donnerstag über die Restaurierung des Gemäldes entspann: „Der Alltag in Potsdam sah damals ja wohl anders aus“, gibt Anna Havemann vom Potsdam Museum kritisch zu bedenken. Auf dem Bild seien weder alte Menschen noch alltägliche Verrichtungen zu sehen. Auch die Farbwahl sei möglicherweise ideologisch geprägt. „Der dominante Blauton ist vermutlich ein Hinweis auf die FDJ, deren Markenzeichen ebenfalls das Blau war“, so die Kunsthistorikerin. Dorothea Nerlich, die Frau des 1999 verstorbenen Grafikers und Malers widerspricht deutlich: „Das war eine rein subjektive Vorliebe, das Blau ist nicht politisch gemeint.“

Das fast drei Meter hohe und zehn Meter lange Wandbild „Potsdamer Alltag“ von Werner Nerlich schmückte nach seiner Entstehung 1966 das Tanzfoyer des damaligen Kulturhauses Hans Marchwitza, dem heutigen Potsdam Museum. Fotos aus der damaligen Zeit zeigen das spiegelnde Parkett des Saals, einen Pianoflügel vor der Wand, Kaffeetische und Stühle. Der Saal lädt zum Tanzvergnügen. In dieses damals moderne sozialistische Ambiente fügte sich das Bild ein. Nerlich zeigt Paare auf einer Parkbank, beim Kaffeetrinken und vor der Fassade des Cecilienhofes. Während sich im Vordergrund das ideale sozialistische Leben abspielt, entfaltet der Maler im Hintergrund die Geschichte der Stadt: Drachenhaus des Park Sanssouci, Neubauten am alten Markt, Cecilienhof.

Kritische Töne gegenüber der verordneten Staatsdoktrin finden sich bei Nerlich nicht. Auch eine wirklichkeitsnahe Abbildung der Realität war nicht sein Ziel. Der Künstler sah seine Aufgabe darin, den Aufbau des Sozialismus zu unterstützen. Doch was ein bedeutungsschwangeres Propagandabild hätte werden können, hat sich unter der Hand des versierten Grafikers Nerlich zur einer Licht durchfluteten Impression verdichtet. „Das ist ein ganz besonders fluffiger Farbauftrag“, sagt Restauratorin Dagmar Dammann über die raffinierte Technik, in der die Malerei entstanden ist. Nerlich schuf eine aufgerauhte Oberfläche, die er mit dem Pinsel eher betupfte als bemalte. Vielfache durchscheinende Schichtungen der Farbe und prismenartige Brechungen der Formen verleihen dem Bild eine kristalline Anmutung.

Vor drei Jahren wurde das Bild im Potsdam Museum restauriert. Mit hingebungsvoller Kleinarbeit haben Dammann und ihr Kollege Thomas Felsch sich dem Bild von Nerlich bei der Restaurierung genähert. „Ein so großes Bild aus der DDR Zeit zu restaurieren ist schon ungewöhnlich“, bemerkt Felsch. Besondere Schwierigkeiten hat allerdings die Steckdose bereitet. Zwar am unteren Bildrand angebracht, aber doch gut sichtbar, fügt sie sich nicht so recht harmonisch ins Bildganze ein. „Wir konnten da ja auch nicht einfach eine Apfel hinmalen“, stellt die Restauratorin Dagmar Dammann fest.

Mit dem Skalpell hätten sie Farbspritzer entfernt, die sich auf dem Bild wohl nach einem Deckenanstrich eingefunden hätten, erklären die Restauratoren. Die verwendeten starkfarbigen Pigmosol Pigmente erhielt Nerlich von BASF. Das Unternehmen hatte die Latexpigmente neu entwickelt. Sie waren nicht für jeden Künstler verfügbar, für den Direktor der Fachschule allerdings schon.

In der aktuellen Ausstellung sind derzeit auch Vorzeichnungen zu dem Panoramabild zu sehen. „Das sind oft Kinder aus der Nachbarschaft“, bemerkt Dorothea Nerlich. Auch Aquarelle und Zeichnungen die entstanden, als Nerlich seine offiziellen Funktionen nieder gelegt hatte, präsentiert das Museum. Sie zeigen expressiv gezeichnete Landschaften die angesichts der strengen Komposition des Wandbildes überraschen. „Das war die Lockerheit im Alter“, kommentiert Dorothea Nerlich. Privat malend fiel das Formkorsett, das sich Nerlich als beauftragter Künstler für die Wandgestaltung auferlegt hatte, offensichtlich von ihm ab.

Richard Rabensaat

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