zum Hauptinhalt
Werbeträger. Häufig liegt unter der schönen Bilderwelt eine virulente Gewalt. 

© Kunsthaus

Medienkritische Ausstellung im Kunsthaus Potsdam: Botschaften einer zerrissenen Welt

Eine Ausstellung im Kunsthaus Potsdam schaut unter die glitzernde Oberfläche der Medienwelt. Gezeigt werden acht Künstler, die sich im überbordenden Kosmos digital und analog erfasster Momentaufnahmen drehen.

Es geht um die bildbewegte Gegenwart. „Pirating Presence“, so der Titel der Ausstellung im Kunstverein Kunsthaus Potsdam, in der sich acht Künstler im überbordenden Kosmos digital und analog erfasster Momentaufnahmen drehen. Bilder ergreifen Besitz von Künstlern und diese wiederum kapern die Bilderwelten. Filme, Fotos, Videoinstallation sind zu sehen: alles aus vorgefundenem Material gefertigt. „Wir werden verfolgt von Medien und folgen auch immer mehr Bildern. Das ist eine Flut. Wie geht man damit um?“, fragt Toni Wirthmüller.

Er hat gebrauchte Stoffe schwarz eingefärbt, die, wie er sagt, „schon ein Leben hinter sich haben und eine Geschichte in sich tragen“. Aufgetrennt hängen die Stoffe an der Wand und sind kombiniert mit Fotos aus dem Internet, die Wirthmüller darauf gedruckt hat. Meist waren es Bilder von Körpern und Menschen. So treffen verschiedene Sicht- und Bedeutungsebenen aufeinander: die der gelebten Leben, kondensiert im Stoff, und die der anonymen, digitalisierten Bilder, die verblichenes, sensitiv Erfahrbares und das Versprechen von körperlicher Nähe anzudeuten scheinen. Fragmente von Fingern, von Bondagespielen, auch einige Dessous finden sich in der Fotoassemblage.

Malträtierte Fotos von Models und Marken 

Auch die anderen ausstellenden Künstler vermuten, dass sich unter der vom schnellen Konsum geprägten Oberfläche weitere Möglichkeiten finden, mit der omnipräsent glitzernden Warenwelt umzugehen. Heidi Sill bearbeitet Abbildungen aus Modemagazinen zunächst von Hand, gelegentlich auch mit Messer und Nagellack. Die so malträtierten Fotos von Models und Marken zerknüllt sie. 

Die gescannten und wiederum groß gezogenen Fotos präsentiert Sill in der Ausstellung. Der ursprüngliche Bildgegenstand ist nicht mehr erkennbar, der rote Nagellack hingegen schon. „Man sieht wenig von der Figur, erahnt sie mehr, als dass man sie erkennt. Durch den roten Nagellack entsteht aber die Assoziation von Blut, von Gewalt“, so Sill. Ihre Bilder scheinen auf eine virulente Gewalt hinzuweisen, die häufig unter der schönen Bilderwelt liegt und sich gelegentlich entlädt, wenn gesellschaftliche Spannungen zutage treten, wie gegenwärtig in Sachsen.

„Tussirecherche“ kombiniert Werbelayout mit Lyrik

Eine Auseinandersetzung mit der bunten Waren- und Wirtschaftswelt stellt auch die Arbeit von Margret Eicher dar. Sie zeigt eine Assemblage aus ihrer insgesamt 22-teiligen Bild-Sprach-Serie „Tussirecherche“, entstanden im Jahr 2000. Hier hat Eicher Werbebilder zugrunde gelegt, das Layout der Werbung beibehalten, diese aber mit Gedichten des in Berlin lebenden Lyrikers Dieter M. Gräf kombiniert. So entstehen sonderbare Bilder und Plakate, die immer noch verführerisch wirken, was ja ihrem ursprünglichen Werbezweck entspricht. Andererseits aber irritieren sie, weil der Betrachter den lyrischen Text nicht mit dem Bild in Verbindung zu bringen vermag. Anders als bei der ursprünglichen Werbebotschaft ist die Assoziation zwischen Bild und Text freier. Der Betrachter ist aufgefordert, selbst eine neue Sinnebene herzustellen.

Befremden befällt den Betrachter auch angesichts der Fotos von Stefan Römer, der eine skulpturale Arbeit von HP Feldmann fotografiert hat und diese Fotos der Aktion von Feldmann zeigt. HP Feldmann, ebenfalls Künstler, der „Urvater der aneignenden Kunst“, wie Römer sagt, hat das Gipsmodell einer griechischen Statue, die von den Römern in Bronze nachgebildet wurde, so bemalt, wie sie angeblich einmal bei den Griechen ausgesehen haben soll: nämlich farbig. Das befremdet den Betrachter, der ja die hehren, einfarbigen griechischen oder römischen Marmorbüsten gewohnt ist. Feldmanns Männerfigur hingegen ist zwar ausgesprochen wohlgeformt, allerdings schweinchenrosa angemalt und mit einer prächtigen, blonden Kurzhaarfrisur versehen. So wirkt der griechische Adonis ausgesprochen homoerotisch. Was wahrscheinlich nicht der Absicht seines ursprünglichen Schöpfers entspricht, sondern eher eine Interpretation Feldmanns sei, so Römer.

Was ist der Zusammenhang zwischen Biophysis und Kunst?

Auf eine wissenschaftliche Ebene begibt sich Adi Hösle. Er zeigt einen Film, bei dem einer Frau ein Gerät appliziert wird, das schwache Stromstöße abgibt. Dadurch neigt die Frau unwillkürlich den Kopf. Die Wissenschaft hätte herausgefunden, dass eine bestimmt Kopfhaltung, eben die durch den Stromstoß verursachte, einen erhöhten Kunstgenuss provoziere, behauptet Hösle. Ob dies nun eine gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis oder einfach ein humoristischer Kunstansatz ist, lässt Hösle offen.

Auch in anderen Versuchsanordnungen beschäftigt sich der Künstler mit dem Zusammenhang zwischen der Biophysis und der Kunst. So ließ er von einer Person mit einem Brain-Computing-Interface, also einer Apparatur, die Hirnströme aufzeichnet und in Energie umsetzt, nur mittels der Gehirnströme Bilder zeichnen.

Ikonen der Kunstgeschichte mit Google-Bildsuche verlinkt 

Mit den assoziativen Verbindungen der Bilderwelten hat sich Susanne Wehr auseinandergesetzt. Bei der Google-Bildersuche hat sie bekannte Bilder der Kunstgeschichte eingespeist und diese mit den vorgefundenen, von der Suchmaschine vorgeschlagenen Bildern kombiniert. So entsteht eine computergenerierte neue Bilderwelt, die in einer Diashow zu sehen ist. Isabel Kerkermeier fragmentiert alte Werbefahnen. Diese setzen sich häufig aus mehreren Lagen von Plastikverbundstoffen zusammen. Mittels eines geschickten Zerrupfens und Zerreißens lassen sich die einzelnen Lagen wieder trennen, Fäden herauslösen und so die Bilder fragmentieren. Die ursprünglichen Werbebotschaften sind bei ihr nicht mehr erkennbar. Was übrig bleibt ist, eine zerfaserte, in Bedeutungsfetzen zerrissene Welt.

Zu sehen bis 21. Oktober im Kunsthaus, Ulanenweg 9. Am 7. Oktober um 16 Uhr, kommt der Direktor des Sprengel Museums Hannover, Reinhard Spieler, mit den Künstlern ins Gespräch

Richard Rabensaat

Zur Startseite