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Kunst zum Selbstbauen. Konstantin Bayer in seinem „Arabischen Raum mit Aussicht“: Vor einem orientalischen Teppich laufen Videos aus dem geografischen arabischen Raum. Alle Einzelteile sind im Internethandel bestellt worden.

© R. Rabensaat

Kultur: Material und Ironie

Der Kunstraum Waschhaus zeigt Kunstwerke aus der Warenwelt

Es scheppert laut im Kunstraum Waschhaus in der Schiffbauergasse. Dort hat Benedikt Braun einen Geldkreislauf initiiert. Centstücke werden mit dem Fließband in eine Höhe von 4,30 Metern befördert, fallen prasselnd hinab, landen wiederum auf einem Band, werden weiter transportiert. Bis zu 50 000 Münzen bewegt der Künstler in seiner Installation, die er bereits in verschiedenen Städten aufgebaut hat. Das erste Mal 2010 in der A+V Hörgalerie in Leipzig, dort noch mit einem geliehenen Förderband. In Baden-Baden stahlen 2016 Punker die 500 Euro in Ein-Cent Münzen aus der Galerie und verteilten das Geld auf der Straße. „Das war ein großer Spaß“, erinnert sich Benedikt Braun. Seiner Ansicht nach hatten die Diebe genau verstanden, worum es ging: die Absurdität des Finanzkreislaufs im Kapitalismus zu hinterfragen und am besten gleich noch aus den Angeln zu heben.

Er sei ein „Ultra Freier Künstler“, ein „P(r)ost Kapitalist“, verkündet Braun auf seiner Website und es bereitet ihm offensichtlich großen Spaß, Geld aus und in seine Installation zu schaufeln. 1979 in Konstanz geboren studierte Braun an der Bauhaus Universität Weimar freie Kunst und visuelle Kommunikation. Mit der ironischen Hinterfragung von Geld- und Wirtschaftskreisläufen hat er sein künstlerisches Thema gefunden. „Cash Cow“ war der Titel einer modellierten Kuh, die tatsächlich im Minutentakt Ein-Cent-Stücke auswarf. Den Anlass für die in der Kunst eher ungewöhnliche Beschäftigung mit Wirtschaftsthemen gab die Finanzkrise, die einsetzte, als der Künstler gerade im Jahre 2007 seinen Hochschulabschluss als Diplomdesigner erhalten hatte. Anderseits: „Dass man als Künstler nicht reich wird, war mir schon klar, das wollte ich irgendwie thematisieren“, so Braun.

Nicht nur der Geld- auch der Kunst- und Warenkreislauf wird in der aktuellen Ausstellung hinterfragt. Von Konstantin Bayer, dem zweiten Künstler der Ausstellung. Bayer liefert keine fertigen Kunstwerke, sondern solche zum Selbstbauen.

Gemütlich niederlassen kann sich der Besucher auf einem ledernen Sitzkissen im „Arabischen Raum mit Aussicht“. Vor einem orientalischen Teppich ist ein ebensolcher Tisch aufgebaut, darauf: eine Teekanne, Teetassen. Auf dem Teppich angebracht: ein Videomonitor. Auf diesem laufen Videos mit Filmen aus dem geografischen arabischen Raum. „Alle Einzelteile habe ich bei Amazon bestellt“, erläutert Bayer. Zusammengebaut hat er die Elemente in der Galerie. Die Bauanleitung findet sich auf seiner Website, ebenso die Angaben, welche Teile bei Amazon zu bestellen sind und wie diese zusammenzufügen sind. „So kann sich jeder sein eigenes Kunstwerk zuhause zusammenbauen“, konstatiert Bayer. Der Preis des Kunstwerkes belaufe sich exakt auf die Summe, für die der Kunstkäufer die Einzelelemente bei Amazon bestelle. Dass es sich trotz des Eigenbaus um ein Originalkunstwerk des Künstlers Konstantin Bayer handele, bestätigt Bayer auf Anfrage mit einem Zertifikat. „Als Künstler handele ich mit Ideen. Kunst entsteht, wenn ein Künstler sagt, das ist Kunst“, behauptet der 1983 in Gotha geborene Bayer. Die Anzahl der Zertifikate ist begrenzt, so ist auch die Möglichkeit, das Kunstwerk von Bayer zu erwerben, limitiert. Sind die Zertifikate aufgebraucht, kann zwar immer noch jeder Interessierte das Werk selber bauen, aber es werde eben kein Kunstwerk von Bayer mehr, so der Künstler.

Damit greift Bayer die mittlerweile schon hundert Jahre alte Idee des Readymade auf und überführt sie ins Zeitalter des digitalen Internethandels. Die Massenproduktion von Konsumgütern und die Auratisierung des Kunstwerkes wolle er ebenfalls hinterfragen, bemerkt Bayer, der auch der künstlerische Leiter der Galerie „Eigenheim“ in Berlin und Weimar ist. Auch er hat an der Bauhaus Universität Weimar studiert. Bayer allerdings hatte zuvor eine Ausbildung zum Umweltschutz Technischen Assistenten absolviert. Die Auseinandersetzung mit der Umwelt, mit dem Materialkreislauf, der Aufbereitung von Werk- und Wertstoffen findet sich in seinen künstlerischen Arbeiten und seinem Galerieprogramm wieder. So beim „Eisberg vor Flusslauf“. Der besteht ebenfalls aus vorgefertigten und im Internet erstandenen massengefertigten Materialien. Vor einer Fototapete mit hübscher Flusslandschaft türmen sich weiße Dämmplatten, die wie Eisschollen anmuten. So führt Bayer das aktuell massenhaft für den Häuserbau gefertigte Material einer künstlerischen Verwendung zu.

Ein ganz neues Kunstwerk von Bayer gibt es im Kunstraum: die Möglichkeit, ein Spatzennest selber zu bauen, aus Holzbeton. Werden vom Besucher drei Stück erstellt, kann er diese kostenlos mitnehmen, sonst muss das Material bezahlt werden.

Auch bei Bayer schwingt eine gehörige Portion Ironie mit. „Haben oder Sein im Bitumenmantel“ widmet das Buch des Philosophen Erich Fromm um zu einem Kunstobjekt. Bei Befolgen einer detaillierten Anleitung zum Gießen des Betonsockels, Zersägen des Metallstabes auf dem das Buch steht, und dem Besprühen des Buches entsteht ein Objekt, das zwar nicht mehr lesbar ist, aber umso sinniger auf die Sinnlosigkeit allen Haben-Wollens und des Anhäufens von materiellen Gütern hinweist. Der Preis des Kunstwerkes beläuft sich auf exakt 47,71 Euro, inklusive Zertifizierung. Sollte Bayer sich im globalen Kunstmarkt als Pionier des Instant Digital Readymade durchsetzen, könnte der Wert des Kunstwerkes sich allerdings ins Unendliche vervielfachen. Aber nur mit original Zertifikat.

Richard Rabensaat

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