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Wenn der betrunkene Vater tobt. Für den jugendlichen Helden (Alexander Finkenwirth) heißt es dann nur stillhalten, wenn ihm sein alkoholkranker Vater (Florian Schmidtke) ins Ohr brüllt.

© Hans Otto Theater/ HL Böhme

Kultur: Marx, Amore und Feinripp

Mit „Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe“ gelingt eine gnadenlos mitreißende Achterbahnfahrt

Ein wenig kann einem Alexander Finkenwirth schon leidtun: Als Schauspieler natürlich, weil er mit viel Text beladen wird, der das ganze Stück zusammenhalten muss, und dann auch noch einen permanent hyperaktiven Charakter spielt, der bis an die Belastungsgrenze springen, tanzen, stampfen und rennen muss. Und das in der Rolle eines 17-Jährigen, der im Italien Anfang der Neunziger seinen Weg in die Erwachsenenwelt finden muss. Ein Pubertätsstück also? Halt! Jetzt bloß nicht wegdrehen! Was Regisseur Sascha Hawemann mit dem Stück „Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe“ gelingt, ist eine so wechselhafte wie rasante Parabel, die einer Achterbahnfahrt gleicht und die einem fast ständig Lachtränen in die Augen treibt.

Am Mittwoch hatte „Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe“ Uraufführung in der Reithalle, eine Adaption des preisgekrönten Jugendbuch-Klassikers aus der Feder von Christian Frascella, die Hawemann mit der Souveränität eines Komödienexperten so stilsicher inszenierte, dass man sich streckenweise an den Sitzen festhalten musste. Das Stück fällt zunächst schon durch seine Sprache auf: Der Duktus der Jugendsprache wird wohl so manch älteren Besucher gehörig irritieren, denn es wird leidenschaftlich geflucht und mit Vulgarismen wie mit Konfetti geworfen. Darauf sollte man vorbereitet sein – der jugendlichen Zielgruppe wird es gefallen. Und zur Sicherheit ist eine Vielzahl der Flüche gleich auf Italienisch.

Die Hauptfigur des Stückes – nennen wir sie der Einfachheit halber Ich – hat es alles andere als einfach: Gleich zu Anfang wird Ich in eine heftige Schulhofschlägerei verwickelt: „Zusammengeschlagen von einem Gehirnamputiertem, der auf Terminator-Filme steht.“ Zu Hause erwartet ihn jedoch kein Mitleid, sondern ein Vater (Florian Schmidtke), den er nur „Der Chef“ nennt und der den Tag biertrinkend in der Hängematte verbringt und mit dem Kühlschrank redet. Florian Schmidtke ist kein Glücksfall für diese Rolle – er ist die Idealbesetzung: Mit wie viel Schmiss er die Rolle des Alkoholikers in weißer Unterbuxe, Schlappen und Karl-Marx-Konterfei auf dem Feinripp-Unterhemd verkörpert, lässt den Rest des Ensembles unfairerweise oft blasser aussehen, als es eigentlich ist. Wer Schmidtke kennt, weiß ja schon, was er kann – hier ist wieder ganz in seinem Element.

Von seiner Schwester Francesca (Patrizia Carlucci) kann Ich auch nichts erwarten: Seit die Mutter mit einem Typen durchgebrannt ist, der nur unwesentlich älter war als sie selbst, flüchtet sie sich – in eine Weihrauchwolke gehüllt – in die Heilige Kirche, vor der sie von dem betont unauffälligen Langzeitstudenten Mauro (Davide Brizzi) gestalkt wird. Mehr als ein zappelndes Nervenbündel kann dieser Ich also nicht mehr sein. So bleibt ihm nichts anderes übrig, als in herrlich italienischen Stereotypen „stahlharte Eier“ zu präsentieren, wie er selbst sagt. Finkenwirth macht das mit flackerndem Blick und einer kontrollierten Hektik, als wäre er randvoll mit Espresso. Das kann herrlich vulgär werden, wenn er seine Hormone an die Schädeldecke klopfen lässt – aber es wirkt weniger prollig als drollig, denn die Figur wirkt ob ihrer Zerrissenheit, die sie mit aufgesetztem Machotum zu besänftigen versucht, einfach nur authentisch. Dieses Gigolo-Gehabe mag eine italienische Schublade sein, aber es lässt sich eben auch ein erfrischendes Stereotypen-Bad darin nehmen. Immerhin kommt mit Chiara (ebenfalls Carlucci) das passende Pendant dazu: Robbe und Vamp also auf einer Bühne (Regina Fraas), die nur aus einer riesigen Garderobe, ein paar Campingstühlen und Lampen besteht.

Das Stück könnte zu lupenreinem Slapstick verkommen, bewahrt sich aber davor, indem es tiefgründig bleibt und sich auch nicht nur am Komödiantischen orientiert, sondern der Erzählung die notwendige Tragik verleiht. Hier wurde mit so viel spritziger Laune gespielt, dass man sich vor Spannung und Lachen förmlich die Unterlippe zerbeißt. Und man muss auf alles gefasst sein: Carlucci und Schmidtke in einer Al-Bano-und-Romina-Power-Solonummer? Ist drin. Eine Nein-Doch-Orgie im Louis-de-Funès-Style? Auch dabei. Selbst Schmidtke mit ausgestrecktem Arm und Mussolini-Shirt wirkt nicht flach, sondern irgendwie passend zum Krawall.

Und besonders Patrizia Carlucci fällt auf, indem sie in Rollen schlüpft wie in passende Turnschuhe: Selten hat man sie so unglaublich präsent erlebt. Als dann eine Sekretärin gerufen wird, lässt Regisseur Hawemann sie aus der Rolle springen: „Ich nicht! Ich mach doch nicht alle Frauenrollen“, winkt sie ab und geht von der Bühne. Davide Brizzi gibt diese eben kurzerhand.

„Du baust dir Luftschlösser, damit die Welt so ist, wie du sie gerne hättest“, wirft Chiara Ich irgendwann vor – da ist dieser längst mitten im Wandlungsprozess angekommen. In einem Stück, das gleichsam warmherzig, rasant und einfach nur herrlich impertinent ist – ein seltenes Glück, das man suchen muss. Applaus!

„Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe“ in der Reithalle, nächste Vorstellung am Donnerstag, 12. Juni, um 19.30 Uhr

Oliver Dietrich

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