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Vollblutmaler. Arno Rink, Malermacher, Vater der Neuen Leipziger Schule, porträtierte 1968 den nicht gerade sympathisch wirkenden Henry Schumann, dessen „Ateliergespräche“ in der DDR legendär waren. Das Bild gibt Einblick in das Atelier des damals 28-jährigen Arno Rink. Der Akt im Hintergrund sollte bald in den Vordergrund rücken.

© Manfred Thomas

Kultur: Lichtgetränkt im Schatten

Neun Themen, neun Bilder: Die PNN begleiten die Ausstellung „Hinter der Maske. Kunst in der DDR“ im Museum Barberini mit einem Rundgang durch die Themenkreise der Schau. Teil 4: Arno Rink und „Schaffensorte. Das Atelier als Bühne und Schutzraum“

Es fällt fast aus dem Rahmen: dieses verschlossene nachdenkliche Gesicht, das kaum eine Gefühlsregung erkennen lässt. Der extrem scharfe Anschnitt des akkurat gekleideten Mannes irritiert. Er wirkt wie ein Vorbeihuschender, ein Fliehender, der seine Gedanken mit sich allein austrägt. Die aufgeworfenen knallroten Lippen lassen indes erahnen, wie wichtig die Worte sind, die aus diesem Mund in die Öffentlichkeit dringen könnten.

Es ist das „Portrait Henry Schumann“, gemalt von dem damals 28-jährigen Arno Rink. Der in Thüringen geborene Künstler, der gerade sein Studium in Leipzig absolviert hatte, hält wie einen Schnappschuss den Besuch des renommierten Kunsthistorikers Henry Schumann in seinem Atelier fest. Schumanns „Ateliergespräche“, die als Interviews aufgenommen wurden und im Seemann-Verlag erschienen sind, galten als Ritterschlag im Kunstbetrieb der DDR. Das Gespräch mit Arno Rink, dem Newcomer, stand in einer Reihe mit denen seiner Lehrer Werner Tübke und Bernhard Heisig. Wie Rink den ihn adelnden Besuch des Kunstexperten damals empfunden hat, ist nur zu erahnen. Befragen kann man diesen Maler und „Künstlervater“ nicht mehr. Er ist im September dieses Jahres nach einem langen Krebsleiden verstorben: kurz vor seinem 77. Geburtstag.

Das 1968 gemalte Porträt mit dem nicht gerade sympathisch wirkenden Henry Schumann gibt Einblick in das Atelier des Jungmalers Arno Rink. Hier ist es nicht der intime Rückzugs- und Schutzort, sondern ein Raum der Repräsentation, eine Bühne, die den Blick freigibt in die Anfänge des Schaffens von Arno Rink und zugleich auf Kommendes hinweist. Die Werke sind für den Besuch des honorigen Gastes nebeneinander aufgereiht. Sie zeigen die Themen, die der Maler damals umkreiste: Akt, Industrielandschaft, Stillleben und ganz vorn ein Simultanbild, das die russische Revolution in Szene setzt. Monumental, agitatorisch. Es ist die Abschlussarbeit „Lied vom Oktober I“, das Rink 1966/67 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst als Diplomarbeit fertigte. Das in Grün getauchte, politisch aufgeladene Werk fällt heraus aus dem homogenen Farbkanon seiner Atelier-Bühne. Entstanden ist es in Folge einer Studienreise in die Sowjetunion, die ihn am Anfang seines künstlerischen Schaffens offensichtlich stark beeinflusste. Arno Rink malte sich auch als russischen Bergarbeiter. Dieses „Selbst in Russland“ (1969) ist ebenfalls in der Ausstellung zu sehen.

In dem „Portrait Henry Schumann“ klingt das Fragmentarische und Symbolhafte, das Rinks Malweise später auszeichnete, bereits an, sagt die Gastkuratorin der Ausstellung, Valerie Hortolani. Die Flasche im Hintergrund steht noch klassisch brav im Regal, dann wird es tumultartig düster-dramatisch mit den aufgepflanzten russischen Bajonetten und Wolkenbergen und im Vordergrund fast surreal. In seinem Bild „Versuchung“ aus dem Jahr 1980, das auch in der Barberini-Ausstellung hängt, ist diese Verfremdung viel weiter vorangetrieben. Es zeigt Arno Rink, wie man ihn kennt: in rätselhafter Sprache, die lichtgetränkt vor allem dem weiblichen Akt und der Obsession huldigt.

Das frühe, fast noch brav wirkende Atelierbild ist eines von fünf „Rinks“, das zu den knapp 80 Werken von Künstlern aus der DDR im Bestand des Museums Barberini gehört. „Atelierbilder sind als Gattung ein sehr altes Motiv. Es gibt viele Rückbezüge, in die sich die Kunst aus der DDR einreiht“, sagt Valerie Hortolani. Im Ausstellungskatalog ist zu lesen: „Das Atelier ist nicht nur Ort der künstlerischen Praxis, an dem der Künstler abgeschieden von der Öffentlichkeit seine Ideen und Projekte umsetzt. Seit jeher ist es zugleich ein sozialer Raum, in dem er Besucher – Auftraggeber, Sammler, Kritiker, Kollegen – empfängt, die ihm bei der Arbeit über die Schulter schauen. Das Atelier spiegelt auch Ambivalenzen und Brüche, ist ein Ort der Repräsentation und Repression, ein Staatsatelier wie alternativer Kunstraum.“ Arno Rink präsentiert so einen Ort der Repräsentation und konnte „in dem bereits erkennbaren Eigensinn auf Züge aufspringen, die seine Lehrer vor ihm erkämpft hatten“, so die Kuratorin.

Zwei Mal musste sich Rink an der Leipziger Hochschule bewerben. Nach seiner Ablehnung arbeitete er vorübergehend in der Leipziger Wollkämmerei als Fahrstuhlführer und Transportfahrer. Im Anschluss an sein Studium kehrte er als Lehrer an seine Akademie zurück, die er dann als Rektor über die Wendezeit führte.

Als Lehrer und Rektor habe er immer wieder gesellschaftliche und politische Diskurse provoziert und als aufrechter Partner an der Seite seiner Studenten gestanden, hieß es im Nachruf. Nach seinem Tod gab es eine große Würdigung in Ost und West. Vollblutmaler, Malermacher, Vater der Neuen Leipziger Schule wurde er genannt. Rink sah sich selbst als „harten Kern der gegenständlichen Malerei“, auch wenn Kritiker seine Bilder zuweilen nicht mehr für zeitgemäß hielten. Er trat in den Schatten seiner Schüler, den Shootingstars Neo Rauch, Tim Eitel, David Schnell. Seine eigenen Bilder wurden nur noch selten gezeigt. Der Makel DDR-Malerei haftete an ihnen.

Neo Rauch forderte indes eine Neubetrachtung des Werkes seines verstorbenen Lehrers und Freundes. Rink sei „jahrzehntelang unter Wert gehandelt worden, unter dem Radar der Skribenten und der Kuratoren geblieben.“ Dass das Interesse an Rinks Kunst nach der Wende nachließ, habe daran gelegen, dass sein Lehrer ein „DDR-Produkt wie Fit oder Nudossi oder die Brocken-Splitter“ gewesen sei, das niemand mehr hatte haben wollen. „Bloß war Nudossi auch nie so gut wie Nutella. Arno Rinks Malerei jedoch war immer besser als manches, was auf der westlichen Seite fabriziert wurde“, betonte Rauch.

Arno Rink selbst sagte 2005, nachdem er die Leitung der Fachklasse für Malerei und Grafik an Neo Rauch abgetreten hatte: „Ich habe für ein Bild immer richtig arbeiten müssen. Mir ist nie ein großer Wurf schnell gelungen. Irgendwann glaubt man dann daran, dass man hart und konzentriert arbeiten muss. Ich lasse nicht nur Schülern nichts durchgehen, sondern auch mir nicht.“ Er habe dieselben Qualen, die gleichen Zweifel, wie die jungen Leute. „Ihnen sage ich, seid mutig, aber ich selbst bin genauso feige, wenn ich vor einer leeren Leinwand stehe und wenn ich mich entscheiden muss, ob ich das Bild nicht mal ganz schwarz male.“

Von dieser Qual erzählt auch das „Portrait Henry Schumann“. Es ist kein schnell dahin geworfenes Bild. Man sieht die malerische Akkuratesse, den Zwiespalt der Gefühle, das Wagnis. Arno Rink präsentiert darin seine politische Prägung und zugleich seinen künstlerischen Eigensinn. Der damals noch ganz hinten im Atelier stehende Akt sollte alsbald in der Vordergrund rücken und sich über die ganze Leinwand ausbreiten.

Im Frühjahr 2018 wird in Leipzig die Retrospektive „Arno Rink. Ich male!“ eröffnet. Arno Rink half bei den ersten Vorbereitungen noch mit.

„Hinter der Maske. Künstler in der DDR“, zu sehen bis zum 4. Februar im Museum Barberini

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