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Kultur: Lebensprall

„Von Sibirien nach Potsdam“: Fotografien von Walter Ruge im Alten Rathaus

Es gibt Menschen, denen Schicksalsschläge nichts anhaben können. Die im Gegenteil aus jeder noch so unerträglichen Situation das Beste machen. Zu ihnen gehört der heute 93-jährige Walter Ruge. Der deutsche Jungkommunist wurde 1934 aus Überzeugung Sowjetbürger und wenige Jahre später wie so viele andere Emigranten zu Zwangsarbeit und Verbannung verurteilt. 15 Jahre lang verbrachte er hinter und vor Stacheldraht, hauptsächlich im hohen Norden der So wjetunion. Erst 1955, nach Stalins Tod, erlangte er seine vollen Bürgerrechte zurück und kam drei Jahre später wieder nach Deutschland.

Vor fünfzig Jahren auf den Tag genau ließ er sich mit seiner Ehefrau Irina in Potsdam nieder. Doch nicht nur dieses Ereignis war der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg Anlass, die Fotoausstellung „Von Sibirien nach Potsdam“ gerade an diesem 1. September zu eröffnen. Es ging auch darum, den diesjährigen Weltfriedenstag durch einen Zeitzeugen zu würdigen. Und Ruge, auch jetzt im hohen Alter noch eine imposante Erscheinung, gab mit markanter Stimme und streitbarem Geist seine Gedanken zu diesem – heutzutage eher als Antikriegstag zu verstehenden Gedenktag – im Musikzimmer im Alten Rathaus zum Besten. Dabei setzte er sich sowohl mit Kurt Tucholskys „Soldaten sind Mörder“ als auch mit einer Rede Helmut Schmidts anlässlich der Wiedervereinigung kritisch auseinander.

Den Hass gegen den Krieg hat Walter Ruge, wie er in seinem Buch „Treibeis am Jenissei“ bekennt, bereits mit der Muttermilch eingesogen. Und noch etwas scheint ihm in die Wiege gelegt worden zu sein: Menschenliebe, Kommunikationsfähigkeit und Naturverbundenheit. Denn in den mehr als 30 ausgestellten Schwarz-Weiß-Fotografien – die meisten davon stammen von ihm selbst – sind gerade diese Eigenschaften abzulesen. Da gibt es wunderbare Kinderbilder im Kindergarten von Sosswa und von russischen Jungs auf einem Zaun und selbst solche von seinen Bewachern im Lager von Ermakowa. Ruge findet schnell einen Draht zu den Menschen, die ihn umgeben und sei es unter noch so widrigen Umständen. Und deswegen findet man in seinen Fotografien, die den „normalen“ Alltag nach der Haft dokumentieren nicht in erster Linie das Schwere des damaligen Lebens, sondern vor allem sehr vitale und leidenschaftliche Menschen.

Und einen Walter Ruge, der in der grandiosen Natur Sibiriens eine wirkliche zweite Heimat gefunden hat. Wunderbar dokumentiert in einem Foto, dass den athletischen Schwimmer in kühnem Sprung über den Fluten des Jenissej zeigt. Jenes Stromes, den er schon seit Kindheitstagen aus Büchern, die ihm sein Vater geschenkt hatte, kannte und bewunderte. Möglicherweise hat ihn gerade diese Kontinuität davor bewahrt, an den Zeitenläufen zu zerbrechen. Auf jeden Fall zeigen die ausgestellten Fotografien einen sehr dynamischen und charismatischen Menschen, der das Leben nahm, wie es kam und in der Lage war, in ganz unterschiedlichen Situationen immer wieder persönlich zu wachsen.

Astrid Priebs-Tröger

Bis zum 28. September, Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr.

Astrid Priebs-TrögerD

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