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Kultur: „Lauter Brandraketen“ im Werther Helga Schütz im Gespräch im Filmmuseum

Werther will weg, fliehen vor den Konventionen der Gesellschaft, den Erwartungen seiner Familie und vor der Verantwortung. Tief in seinem Inneren fühlt er eine Leere.

Werther will weg, fliehen vor den Konventionen der Gesellschaft, den Erwartungen seiner Familie und vor der Verantwortung. Tief in seinem Inneren fühlt er eine Leere. Lotte soll diese „Lücke“ füllen, denn allein bei ihr glaubt er, „die Ruhe der Seele“ gefunden zu haben. Doch Lotte ist mit Albert verlobt. Werthers Herzens-Wünsche gehen nicht in Erfüllung, sie kollidieren mit der lieblosen Wirklichkeit, die gesellschaftlichen Erwartungen empfindet er als gnadenlose Demütigungen. Er geht schließlich in den Tod.

Der Filmregisseur und Schriftsteller Egon Günther, der am 31. August dieses Jahres in Potsdam verstarb, hat 1976 Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ bei der Defa verfilmt. Die in Babelsberg lebende Schriftstellerin und Drehbuchautorin Helga Schütz, die am 2. Oktober 80 Jahre alt wurde, hat das Szenarium verfasst. In einem Gespräch am Freitagabend mit Knut Elstermann, das vor der Aufführung der Werther-Verfilmung anlässlich der Film- und Vortragsreihe zur Weimarer Klassik im Filmmuseum stattfand, sagte die Autorin, dass der Regisseur ihr Szenarium „Addio, piccola mia“ über den Dichter Georg Büchner sehr gern verfilmt hätte. Aber nach dem provokativen Gegenwartsfilm „Die Schlüssel“ (1974) hegte die Defa-Leitung gegenüber Günther Misstrauen, dass er mit der Büchner-Thematik Bezüge zur DDR-Wirklichkeit herstellen könnte. So wurde Lothar Warnecke Regisseur dieser Vorlage, den Werther inszenierte Egon Günther. Dessen Wunsch-Szenaristin war wie bei „Die Schlüssel“ Helga Schütz.

„Bis dahin las ich Goethes Text wie einen entfernten Klassiker, der mit mir nichts zu tun hatte. Als Egon Günther mich bat, das Szenarium zu schreiben, habe ich während der intensiven Beschäftigung mit dem Roman die Aktualität seiner Figuren und Situationen entdeckt“, sagt Schütz. Schon Goethe meinte 1824, fünf Jahrzehnte nach dem Erscheinen der Leipziger Erstausgabe, dass im Werther „lauter Brandraketen“ enthalten sind. „Es wird mir unheimlich dabei.“

Schütz und Günther haben Goethes Text natürlich nicht eins zu eins auf die Leinwand übertragen, sondern auch mit handfesten Metaphern zur nationalsozialistischen Zeit und DDR-Gegenwart versehen. Dadurch wirkt der Film manchmal wie ein Bilderbogen, in dem die Zeitgeschichte in die Nähe des pädagogischen Zeigefingers geriet. Günther hat beim Werther wieder mit dem Kameramann Erich Gusko zusammengearbeitet, der die Drehorte in Potsdam und anderswo eindrucksvoll ins Bild setzte. Vom feinen Gespür der Handlungsepoche zeugt die optische Gestaltung. Und mit den harten Schnitten wollte der Regisseur weg von biedermeierlicher Gemütlichkeit, die Brüche der Goethe-Zeit verdeutlichen. Zur modern wirkenden Umsetzung trug die natürliche Darstellung von Katharina Thalbach als Lotte bei, auch durch ihre gegenwartsnahe Erscheinung.

Helga Schütz lobte im Filmmuseum die Zusammenarbeit mit Günther, „obwohl bei den filmischen Ergebnissen ich mich mit meinen Ideen manchmal nicht wiederfand“. Sie wollte was Eigenes: Prosa schreiben. Fast alle ihre Bücher sind autobiografisch gefärbt, auch die jüngst erschienene Erzählung „Die Kirschendiebin“ (Aufbau Verlag). „Ich schließe mit meinen Schreiben jedoch kaum an mein vorheriges Buch an, sondern beginne immer wieder von vorn in meine Biografie einzutauchen, bedenke einzelne Punkte, an denen ich meine neue Geschichte festmache.“Klaus Büstrin

Die Film- und Vortragsreihe wird bis Sonntag, den 15. Oktober, im Filmmuseum fortgesetzt. Am Donnerstag, dem 12. Oktober, gibt es um 18 Uhr den Vortrag „Klassik als Kulisse und Schaufenster des Sozialismus?“, um 20 Uhr werden DDR-Fernsehfilme über das klassische Weimar gezeigt

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